312Liturgisches Jahrbuch 3/2016

Inhalt der Ausgabe 3/2016

 

Edi­to­ri­al
ZU DIESEM HEFT

Ulrich Ruh
Ein Fremd­kör­per? Christ­li­cher Got­tes­dienst in einer säku­la­ren Gesellschaft

Ste­fan Kopp
»… beson­ders die Sakra­men­te der Eucha­ris­tie und der Ver­söh­nung …«. Zu einer »Reform der Reform« der Pries­ter­wei­he nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Konzil

Bogusław Migut
Auf der Suche nach einer Syn­the­se in der Theo­lo­gie. Die »Lit­ur­gi­sche Theo­lo­gie« der »Römi­schen Schule«

Jens Brück­ner
Ers­te Unter­su­chun­gen des Liber Ordi­na­ri­us der Stifts­kir­che St. Ger­trud in Nivel­les. Bericht über einen Exper­ten­work­shop vom 7. bis 8. März 2016 in Cam­bridge M. A.

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Büche­r­ein­lauf

 


 

Editorial 3/2016: ZU DIESEM HEFT

Als im Juli 2016 die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz mit­teil­te, dass im ver­gan­ge­nen Jahr 181.925 Katho­li­ken aus der Kir­che aus­ge­tre­ten sei­en (immer­hin so vie­le, wie im Jahr 2010, als flä­chen­de­ckend Fäl­le von sexu­el­lem Miss­brauch durch Kir­chen­mit­ar­bei­ter bekannt gewor­den waren), attes­tier­te der Frei­bur­ger Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge Micha­el Ebertz Katho­li­ken wie Pro­tes­tan­ten ein mas­si­ves Nach­wuchs­pro­blem. So spar­ten sich 90 Pro­zent der Katho­li­ken die Sonn­tags­mes­se und der Got­tes­dienst­be­such der Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen ten­die­re gegen Null.
Eine Ursa­che sah Ebertz in der Form der Got­tes­diens­te. »Es gibt eine regel­rech­te Sche­re zwi­schen kirch­li­chen Riten, die allein das Tran­szen­den­te im Blick haben, und den­je­ni­gen kirch­li­chen Voll­zü­gen, die rele­van­te Bezü­ge des Lebens mit Tran­szen­denz ver­bin­den«, so der Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge. Wäh­rend Tau­fen, Hoch­zei­ten, Erst­kom­mu­nion­fei­ern und Beer­di­gun­gen nach wie vor Zustim­mung fän­den, ver­lie­re gera­de die Mess­fei­er, theo­lo­gisch Höhe­punkt und Quel­le des kirch­li­chen Lebens, »dra­ma­tisch an Boden.«1
Zu durch­aus ver­gleich­ba­ren Beob­ach­tun­gen kommt auch Dr. Ulrich Ruh in die­sem Heft. Den ehe­ma­li­gen Chef­re­dak­teur der »Her­der-Kor­re­spon­denz« hat­te die Schrift­lei­tung gebe­ten, aus sei­ner Sicht die Situa­ti­on des katho­li­schen Got­tes­diens­tes vor dem Hori­zont der heu­ti­gen, plu­ra­len Gesell­schaft mit ihrem säku­la­ren Poten­ti­al zu beschrei­ben. Es war dabei nicht an einen streng wis­sen­schaft­li­chen Bei­trag gedacht, viel­mehr soll­te der Theo­lo­ge und Publi­zist essay­haft aus sei­ner Sicht Beob­ach­tun­gen zur gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on des Got­tes­diens­tes bei­steu­ern. Ruh nimmt denn auch eine kri­ti­sche Ana­ly­se der bei­den gro­ßen christ­li­chen Kir­chen in unse­rem Land und ihrer Lit­ur­gie, spe­zi­ell des Sonn­tags­got­tes­diens­tes vor. Er benennt eine Rei­he von Pro­ble­men und Span­nun­gen. So sieht Ruh selbst moti­vier­te und enga­gier­te katho­li­sche Gläu­bi­ge von der Abfol­ge von Tex­ten und Riten einer nach der lit­ur­gi­schen Ord­nung des deut­schen Mess­buchs gefei­er­ten Sonn­tags­mes­se über­for­dert; um wie viel mehr müs­se dies für Men­schen gel­ten, die ohne eine reli­giö­se Sozia­li­sa­ti­on in eine Sonn­tags­mes­se gera­ten, wie sie land­läu­fig in vie­len katho­li­schen Kir­chen zu beob­ach­ten ist. Dar­über hin­aus hat der Got­tes­dienst einer­seits sei­ne selbst­ver­ständ­li­che sozia­le Ver­or­tung und Funk­ti­on auf wei­te Stre­cken ein­ge­büßt, ande­rer­seits ist er aber fast das ein­zig sicht­ba­re Feld, auf dem unmiss­ver­ständ­lich der christ­li­che Glau­be an den drei­ei­nen Gott, das zen­tra­le Glau­bens­mys­te­ri­um von Tod und Auf­er­ste­hung Jesu Chris­ti und die Kir­che als eine die sozia­le Dimen­si­on über­schrei­ten­de Gemein­schaft der Getauf­ten zur Spra­che kommt und sin­nen­haft-sym­bo­li­sche Gestalt annimmt. Zahl­rei­che Sei­ten­bli­cke zu den evan­ge­li­schen Lan­des­kir­chen und der dort beob­acht­ba­ren Got­tes­dienst­pra­xis zei­gen – bei allen kon­fes­sio­nel­len Unter­schie­den im Ein­zel­nen – man­che Par­al­le­len und Ähn­lich­kei­ten auf.
Eine Kon­se­quenz, die Ruh zieht: Es braucht eine grö­ße­re Diver­si­fi­zie­rung der got­tes­dienst­li­chen For­men. Neben der Voll­form der Mess­fei­er müss­ten ver­mehrt wei­te­re For­men von Got­tes­diens­ten tre­ten, gera­de auch sol­che, die ein­zel­ne Grund­voll­zü­ge got­tes­dienst­li­chen Fei­erns beto­nen und in den Mit­tel­punkt stel­len (Musik, Ver­kün­di­gung, Stil­le, Für­bit­te, Segen). Man den­ke etwa an die viel­fäl­ti­gen pas­to­ra­len Erfah­run­gen mit den Got­tes­diens­ten und ritu­el­len Fei­ern des soge­nann­ten »2. Pro­gramms«, die es wert wären, gesich­tet zu wer­den, um nach mög­li­chen lit­ur­gie­pas­to­ra­len Per­spek­ti­ven zu fragen.
Über­dies rekla­miert Ruh aber auch eine grö­ße­re Sorg­falt in der Gestalt und Gestal­tung der regu­lä­ren Got­tes­diens­te mit ihren in der Tra­di­ti­on der Kir­che grün­den­den Tex­ten und Riten. Aller­dings müs­se dane­ben auch eine qua­li­täts­vol­le Spra­che der Gegen­wart ihren berech­tig­ten Platz haben. Letzt­lich muss deut­li­cher wer­den, was der Got­tes­dienst am Sonn­tag mit dem Leben der Chris­ten im All­tag zu tun hat. Was ver­mis­sen Gläu­bi­ge am Got­tes­dienst der Kir­che? Wie kön­nen sie im Got­tes­dienst Kraft schöp­fen, um unter der Woche als Christ oder Chris­tin zu leben? Wie kom­men Lit­ur­gie und Leben zusam­men? Die­se und ähn­li­che span­nungs­rei­che Fra­gen wirft der Bei­trag von Ulrich Ruh auf. Es wäre zu wün­schen, er könn­te zum Aus­gangs­punkt einer brei­te­ren Dis­kus­si­on werden.
Kom­plet­tiert wird das Heft mit einem Auf­satz des jüngst auf den Lehr­stuhl für Lit­ur­gie­wis­sen­schaft an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät Pader­born beru­fe­nen Prof. Dr. Ste­fan Kopp, der sich mit der »Reform der Reform« der Pries­ter­wei­he befasst und mit einem Bei­trag des in Lub­lin leh­ren­den Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­lers Prof. Dr. Boguslaw Migut, der lit­ur­gie­theo­lo­gi­sche Zugän­ge von drei Ver­tre­tern der »Römi­schen Schu­le« dar­stellt. Über ein Exper­ten­ge­spräch zum Liber Ordi­na­ri­us der Stifts­kir­che St. Ger­trud in Nivel­les berich­tet schließ­lich Jens Brück­ner (Tübin­gen).

1 Hier nach: kirchensite.de/aktuelles/kirche-heute/kirche-heute-news/datum/2016/07/17/religionssoziologe-fordert-lebensbezug-in-gottesdiensten/ (Zugriff: 19. Juli 2016).
[Anm. von liturgie.de: Die­ser Inter­net­auf­tritt ist seit 4. Novem­ber 2016 unter ande­rer Adres­se verfügbar]

 

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