»Atme in uns, Heiliger Geist«
(GL 346)

Wor­te: Jean-Marc Morin, über­setzt von Tho­mas Csaná­di und Roger Ibour­nigg 1985, Musik: Pierre und Vivia­ne Mug­nier 1982

 

Liedportrait von Meinrad Walter

Beim Hei­li­gen Geist ist die Musik in ihrem Ele­ment. Bibli­sche Bil­der inspi­rie­ren zu Klän­gen. Der pfingst­li­che Ruf heißt: „Komm, Schöp­fer Geist“ – „Veni Creator Spi­ri­tus“. Die­ser berühm­te Gesang aus dem 9. Jahr­hun­dert hat ein viel­stim­mi­ges musi­ka­li­sches Echo ent­facht, ja gera­de­zu ent­flammt. Kaum zu zäh­len sind die Über­set­zun­gen und Ver­to­nun­gen. Johann Wolf­gang von Goe­the – auch der Dich­ter­fürst ist unter den Über­set­zern des „Veni Creator Spi­ri­tus“ – mein­te, dass die­ser Pfingst­hym­nus „kraft- und geist­rei­che Men­schen gewal­tig­lich anspricht“.

Dies gilt auch für das Lied „Atme in uns, Hei­li­ger Geist“. Das fran­zö­si­sche Ori­gi­nal ent­stand in der geist­li­chen Gemein­schaft Emma­nu­el, auch Über­set­zun­gen gibt es inzwi­schen welt­weit. Mit der Auf­for­de­rung „Komm, du Geist …“ beginnt jede Stro­phe nach dem Refrain in ver­trau­ter Du-Anre­de, gera­de­zu lockend. Und das setzt sich fort in drei­fa­cher Staf­fe­lung, so dass der Ruf „Komm!“ wie in einer Lita­nei ins­ge­samt neun Mal ertönt. „Komm, du Geist, kehr bei uns ein“ (Stro­phe 1) ist das deut­lichs­te Zitat aus dem alten latei­ni­schen Pfingst­hym­nus in die­sem neu­en geist­li­chen Lied.

Die ers­te Stro­phe fragt, was der Geist in uns bewirkt. Er durch­dringt uns, indem er bei uns ein­kehrt und uns so belebt. Damit klingt ein wei­te­res Zitat an, die­ses Mal aus dem Gro­ßen Glau­bens­be­kennt­nis: Der Geist ist der „Herr“, der „leben­dig macht“ (Domi­nus et vivi­fi­can­tem). Die zwei­te Stro­phe zeich­net ein klin­gen­des Bild des Geis­tes für uns. Hei­lig­keit, Wahr­heit und Lie­be hei­ßen die Stich­wor­te. So hat Jesus in sei­nen Abschieds­re­den im Johan­nes­evan­ge­li­um den Geist ver­hei­ßen: „Er wird euch in die gan­ze Wahr­heit ein­füh­ren.“ (Johan­nes 16,13) Die Lie­be ver­hin­dert, dass der Geist nur das „Ich“ beseelt und nicht das „Wir“. Die drit­te Stro­phe zeigt dann, was der Geist aus uns macht. Er eint die Men­schen, wie­der­um nach Jesu ver­hei­ßungs­vol­lem Wort „damit sie eins sind“ im vier­ten Evan­ge­li­um (Johan­nes 17,11). Das Sakra­ment des neu­en Anfangs im Geist ist die Tau­fe. Des­halb ist die­ses Lied für Tau­fe und Fir­mung beson­ders geeig­net, und natür­lich an Pfings­ten – aber auch vor Ent­schei­dun­gen oder wich­ti­gen Besprechungen.

Was meint die poe­ti­sche Umschrei­bung „Atme in uns, Hei­li­ger Geist“? Der Geist über­wäl­tigt nicht von außen, son­dern er nis­tet sich gleich­sam im Men­schen­geist ein, um „die Türen des Ver­ste­hens von innen her auf­zu­tun“ – so sagt es der gro­ße Theo­lo­ge Hans Urs von Bal­tha­sar (1905–1988). Schöns­tes Bild hier­für ist der Atem, hebrä­isch „ruach“ (Altes Tes­ta­ment), grie­chisch „pneu­ma“ (Neu­es Tes­ta­ment). Das Atem­ho­len, ein Grund­voll­zug des Lebens, gewinnt eine geist­li­che Dimen­si­on. Denn Gott atmet in uns, wenn er uns inspi­riert und so Leben schenkt. Über­dies klingt das alte Gebet „Atme in mir, du Hei­li­ger Geist“ (neu­es Got­tes­lob, Nr. 7,6) an, das dem hei­li­gen Augus­ti­nus (354–430) zuge­schrie­ben wird.

„Wir erseh­nen dich“ – so fasst die letz­te Zei­le jeder Stro­phe alle Bit­ten um den Hei­li­gen Geist zusam­men. Musik kann hel­fen, die­se Sehn­sucht nach dem Atem Got­tes in uns am Leben, ja am Lodern zu hal­ten. In die­sem Lied gelingt das vor allem durch die cha­rak­te­ris­ti­schen Rhyth­men. Gleich im ers­ten Takt des Kehr­ver­ses steht eine klug plat­zier­te Syn­ko­pe, die auf­rüt­telt. Die Melo­die der Stro­phen hin­ge­gen ist weit­räu­mig, schwung­voll und drän­gend. Der auf Wie­der­ho­lung ange­leg­te Rhyth­mus wird unter­stützt durch die ein­fa­chen Har­mo­nien mit nur drei ver­schien­de­nen Akkor­den. Ein Lied, das die Bit­te um den Geist nicht weit­läu­fig zer­re­det, son­dern sie in Wort und Ton vertieft.

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