»Du Licht des Himmels, großer Gott«
(GL 615)

„Dich prei­sen wir im Morgenlied“

Wor­te: nach „Deus qui coeli lumen es“, 5.–6. Jh.; Über­tra­gung: Fried­rich Dörr 1978; Musik: nach Johann Lei­sen­trit 1584, Erhard Quack 1941

 

Liedportrait von Meinrad Walter

Manch­mal ist uns das Jahr näher als der Tag. Das Kir­chen­jahr ist ver­traut, nicht zuletzt in vie­len Lie­dern. Aber auch die Hei­li­gung des Tages hat ihre Gesän­ge, vom Mor­gen­lied in den „Lau­des“ (Mor­gen­lob) bis zu den Psal­men der „Kom­plet“ (Nacht­ge­bet). Bei der Fei­er der Tag­zei­ten setzt das Got­tes­lob einen neu­en Akzent. Bei den Lau­des fin­den wir „Du Licht des Him­mels, gro­ßer Gott“ als Hym­nus. Frei­lich kann die­ser Gesang, des­sen ursprüng­lich latei­ni­scher Wort­laut mit dem Beginn „Deus qui coeli lumen es“ aus spät­an­ti­ker Zeit stammt, auch in ande­ren Got­tes­diens­ten und in der Eucha­ris­tie­fei­er gesun­gen wer­den. Ent­schei­dend ist die Tages­zeit. Das Lied besingt den ewi­gen Gott (Stro­phe 1), es beschreibt die Mor­gen­stun­de in ihrer Bedeu­tung für Natur (2) und Mensch (3), und es wid­met sich Chris­tus, der Licht (4), Erlö­ser und Voll­ender (5) ist.

Die von Erhard Quack 1941 über­ar­bei­te­te Melo­die stammt ursprüng­lich aus dem 16. Jahr­hun­dert und steht – mit einem Neu­jahrs­lied ver­knüpft – im berühm­ten Gesang­buch des Baut­zener katho­li­schen Theo­lo­gen Johann Lei­sen­trit (1584). Heu­te kennt man sie vom Him­mel­fahrts­lied „Ihr Chris­ten, hoch erfreu­et euch“.

Von dem Eich­stät­ter Pries­ter Fried­rich Dörr (1908–1993) stammt die deut­sche Über­set­zung. Haupt­sym­bol des Mor­gen­lo­bes ist das Licht. Sei­ne sinn­li­che Erfah­rung ist wich­tig, aber doch nicht alles. Denn sie soll sich wei­ten zu den reli­giö­sen „Ober­tö­nen“, die mit­klin­gen. Der Son­nen­auf­gang erin­nert dar­an, dass die gan­ze Schöp­fung sich Gott ver­dankt. Hier klingt die bibli­sche Schöp­fungs­bot­schaft aus den ers­ten Sei­ten des Buches Gene­sis nach. Dort wird ein­ge­schärft, dass selbst die Son­ne nicht gött­lich ist, son­dern eine von Gott erschaf­fe­ne „Leuch­te“. Gott hat das Ster­nen­zelt nicht nur „aus­ge­spannt“ (vgl. Psalm 8), son­dern er erhält es „mit star­ker Hand“.

Was bedeu­tet der Mor­gen? Die zwei­te Stro­phe nennt die Klar­heit der Mor­gen­rö­te und den Segen des Mor­gen­taus. Die drit­te, im Zen­trum des Lie­des, schlägt die Brü­cke vom Mor­gen­stern zu Chris­tus, wovon wir auch im Gesang des Exsul­tet in der Oster­nacht hören: „… bis der Mor­gen­stern erscheint, jener wah­re Mor­gen­stern, der in Ewig­keit nicht unter­geht, dein Sohn, unser Herr Jesus Chris­tus“. Jeder Mor­gen, jeder Son­nen­auf­gang, will an den Oster­mor­gen erin­nern, der die Dun­kel­heit, das „Reich der Schat­ten“, end­gül­tig ver­trie­ben hat. Am Ende der mitt­le­ren Stro­phe sind wir in der Gegen­wart ange­langt, denn jetzt „weckt Chris­tus uns vom Schla­fe auf“. Des­halb kön­nen die Sin­gen­den ihn in der vier­ten Stro­phe direkt anspre­chen: „Du, Chris­tus, bist der hel­le Tag“ – mit der Anspie­lung an die Anfangs­zei­le eines ande­ren, aller­dings abend­li­chen Hym­nus: „Chris­te, qui lux es et dies“ – „Chris­tus, du bist Licht und Tag“.

Die abschlie­ßen­de Stro­phe zitiert den Koloss­erbrief des Neu­en Tes­ta­ments (Kapi­tel 1, Vers 13) und deu­tet so den „Erlö­ser“ Chris­tus an. Dabei ändert sich die zeit­li­che Aus­rich­tung ganz ent­schei­dend. Das Licht ist Sym­bol des ewi­gen Got­tes (Stro­phe 1) und des­sen Geschenk für die Erde (2 und 3) zur Ord­nung der Zeit in Tag und Nacht. Chris­tus ist als Licht gegen­wär­tig (4), schon da in sei­nem Wort, sei­nem Geist und im Mahl von Brot und Wein. Aber die eigent­li­che Zeit des Lich­tes ist die Zukunft! Am Ende über­strahlt die Ver­hei­ßung des Lich­tes ohne Fins­ter­nis gleich­sam den gesam­ten Gesang (5). Der Ver­gleich zwi­schen Chris­tus und dem Mor­gen­licht, er stimmt – und er zer­bricht, weil jener Tag Chris­ti, an dem er uns ins Licht führt „und aller Fins­ter­nis ent­reißt“, kei­nen Abend kennt. Dann wird das Neue Lied ange­stimmt. Unser Mor­gen­hym­nus will Prä­lu­di­um jenes „Can­ti­cum Novum“ sein. Und damit  rela­ti­viert er so man­ches, was jeder Tag brin­gen wird, den wir sin­gend beginnen.

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