»Jerusalem, du neue Stadt«
(GL 338)

Wor­te: Ful­bert von Char­tres (gest. 1029);  Über­set­zung: Müns­ter­schwarz­ach; Musik: Hein­rich Schütz (1661)

 

Lied­por­trait von Mein­rad Walter

Ful­bert von Char­tres, ein gelehr­ter Bischof des 11. Jahr­hun­derts (Gedenk­tag am 10. April), und der früh­ba­ro­cke pro­tes­tan­ti­sche Kom­po­nist Hein­rich Schütz sind die Autoren die­ses öster­li­chen Lie­des. Im Mit­tel­punkt steht das himm­lisch-jubeln­de Jeru­sa­lem als wahr­haft klang­vol­les Thema.

Gleich die zwei­te Lied­zei­le „Gib dei­nen Lie­dern neu­en Klang“ ist eine treff­li­che Umschrei­bung für das Can­ti­cum novum, das im Alten und Neu­en Tes­ta­ment ver­hei­ße­ne neue Lied. Dabei darf man zuerst an die Psal­men den­ken mit ihrer Auf­for­de­rung „Singt dem Herrn ein neu­es Lied“ (Psalm 98), eben­so aber auch an die Offen­ba­rung des Johan­nes. In die­sem letz­ten Buch des Neu­en Tes­ta­ments stim­men die Erlös­ten in der end­zeit­li­chen Stadt Jeru­sa­lem das neue Lied an. „Ohne Ende“ erklingt es an Got­tes Thron.

In der Oster­zeit, dem christ­li­chen Fest schlecht­hin, ertönt schon ein Prä­lu­di­um zu die­sem ewi­gen Lied. War­um? Weil die „rei­ne Freu­de“ am Fest aller Fes­te nicht ohne Musik auskommt.

Die zwei­te Stro­phe bin­det ver­schie­de­ne Moti­ve der Auf­er­ste­hung zu einem bun­ten Oster­strauß. Zunächst geht es um den Sieg der Auf­er­ste­hung, und zwar im Rück­griff auf die Oster­se­quenz „Vic­ti­mae pascha­li lau­des“ mit ihrer Kampf­the­ma­tik: Chris­tus ist der sieg­haf­te Löwe. Dem nament­lich nicht bekann­ten Über­set­zer aus dem Bene­dik­ti­ner­klos­ter Müns­ter­schwarz­ach fließt eine For­mu­lie­rung in die Feder, die den Löwen („leo“ im latei­ni­schen Ori­gi­nal) zum „Hel­den“ wer­den lässt: „Der Held aus Juda siegt mit Macht“ – so heißt auch der fan­fa­ren­haf­te Mit­tel­teil der Alt-Arie „Es ist voll­bracht“ in Johann Sebas­ti­an Bachs Johan­nes­pas­si­on. Drit­tens klingt die Theo­lo­gie des Kar­sams­tags an, wie die Ost­kir­che sie kennt und wie sie auch auf vie­len Bil­dern zu sehen ist: Chris­tus steigt in die Unter­welt hin­ab, um die Toten her­auf­zu­ru­fen ins neue Leben. Im Übri­gen ist der gesam­te, ursprüng­lich latei­ni­sche Hym­nus, des­sen Ver­fas­ser Ful­bert von 1006 bis 1029 Bischof in Char­tres war, von ost­kirch­li­chen Ein­flüs­sen geprägt.

Die drit­te Stro­phe beschreibt Ostern aus der Per­spek­ti­ve der Erlös­ten. Als Befrei­te fol­gen sie Jesus nach. Das meint, dass alle, die Jesus bis zum Kreuz gefolgt sind, ihm auch in die Herr­lich­keit fol­gen. Got­tes Reich kennt kei­ne Gren­zen, weder räum­lich noch zeit­lich. Es eint Him­mel und Welt, und es dau­ert ewig. Mit einem tri­ni­ta­ri­schen Lob­preis, der als ers­tes Chris­ti Grab und Auf­er­ste­hung nennt, schließt die­ser Hym­nus, des­sen ori­gi­na­ler Titel „Cho­rus novae Jeru­sa­lem“ heißt: Der Lob­ge­sang des neu­en Jerusalem.

Doch wel­che Melo­die passt zu die­sem mit­tel­al­ter­li­chen Hym­nus? Das Got­tes­lob ent­schied sich für eine schwung­vol­le Musik mit pro­tes­tan­tisch-baro­ckem Ursprung. Der Kom­po­nist ist Hein­rich Schütz (1585–1672), des­sen geist­li­che Kom­po­si­tio­nen die Luther-Bibel in Musik „über­set­zen“ und zugleich jener Affekt­schil­de­rung ver­pflich­tet sind, die damals zu den neu­es­ten Errun­gen­schaf­ten der ita­lie­ni­schen Opern zähl­te. Nach sei­ner Pen­sio­nie­rung als Dresd­ner Hof­ka­pell­meis­ter und einer tie­fen exis­ten­zi­el­len „Betrüb­nis“ durch den Tod sei­ner Frau hat Schütz ver­sucht, aus den bibli­schen Psal­men „Trost zu schöp­fen“. So hat er den gesam­ten deut­schen Reimps­al­ter von Cor­ne­li­us Becker vier­stim­mig in Musik gesetzt. Die­se Arbeit nennt er die „Trös­te­rin mei­ner Traurigkeit“.

Die dem Hym­nus „Jeru­sa­lem, du neue Stadt“ zuge­ord­ne­te Melo­die gehört bei Schütz zum 150 Psalm „Lobt Gott in sei­nem Hei­lig­tum“, ist also die letz­te sei­nes „Becker-Psal­ters“. Das musi­ka­li­sche Mot­to des Hym­nus „… gib dei­nen Lie­dern neu­en Klang“ stammt aus der Offen­ba­rung des Johan­nes: „Und sie san­gen ein neu­es Lied vor dem Thron …“ (Offen­ba­rung 14,3). Mit die­sem end­zeit­li­chen Lied schließt sich der Kreis zu Psalm 150, des­sen vier­ten Vers Cor­ne­li­us Becker so über­setzt: „Lobet den Her­ren mit Gesang / und lasst her­gehn der Pau­ken Klang, / die Sai­ten lieb­lich klin­gen drein / mit Pfei­fen fröh­lich in den Reihn.“

Eine Kurz­for­mel all die­ser Wor­te und Klän­ge ist – in den Psal­men wie in der Offen­ba­rung des Johan­nes – der jüdisch-christ­li­che Jubel­ruf „Hal­le­lu­ja“. Auch er lässt sich auf unse­re Melo­die sehr gut sin­gen, etwa als Zwi­schen­vers oder zum Abschluss der öster­li­chen Strophen.

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