Advent und Weihnachtszeit
SCHOTT Advent und Weihnachtszeit. Mit einer Einführung von Stephan Wahle
Weihnachten ist das populärste Fest des Christentums.
An Weihnachten feiern die Christinnen und Christen die Geburt Jesu Christi, von dem sie im Glauben bekennen: Dieser jüdische Knabe, der vor über 2000 Jahren in einer Krippe in Betlehem von Maria geboren wurde, ist der Sohn Gottes, der Messias (Gesalbte) des Volkes Israel, der Retter und Heiland der Welt. […]
Weihnachten ist nicht nur ein religiöses, sondern auch ein globales Fest und eine kulturelle Institution, die auf das private und familiäre Leben ausstrahlt und dort seine neue Mitte gefunden hat. Zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahresverlauf wandelt sich die Öffentlichkeit in einen großen Festraum, dem sich kaum jemand entziehen kann – und dies lange vor dem 25. Dezember. Kindheitserinnerungen werden wach, nicht selten in melancholischer Stimmung. Die Suche nach einem glücklichen Leben paart sich mit dem skeptischen Staunen über die kommerzielle Welt. Je hektischer, grausamer und lauter das Leben in der Gegenwart ist, umso größer wird die Sehnsucht nach einer stillen, besinnlichen und heiligen Zeit. […]
Es gibt kaum einen anderen biblischen Text, der so bekannt und beliebt ist wie die Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Die Erzählung ist mehr als nur ein herausragender poetischer Text, der die Gefühle und Hoffnungen der Menschen anspricht. Sie erhebt den Anspruch, von einem Geschehen zu erzählen, das die Welt verändern sollte – eine Erzählung mit politischer Sprengkraft. […]
Die Kindheitserzählungen verstehen sich als im Lichte von Ostern verfasste Darstellungen, die in die Frohe Botschaft programmatisch einführen. Sie sind von der Glaubensgewissheit geprägt, dass dieser Jesus von Nazaret, der gekreuzigt und von den Toten auferweckt wurde, von Anfang an, das heißt seit seiner Geburt der Sohn Gottes und der Messias Israels ist. Lukas und Matthäus tragen mit ihren Geburts- und Kindheitserzählungen die Ostererfahrungen in das Geburtsgeschehen ein, weil sie – wie auch der Evangelist Johannes – der Geburt und dem Leben Jesu eine Heilsbedeutung zusprechen. […]
Der Advent ist ein Spezifikum der westlichen Kirche.
Am Ende des 4. bzw. zu Anfang des 5. Jahrhunderts finden sich die ersten Zeugnisse für eine Zeit der Vorbereitung auf das Christgeburtsfest, die in den frühesten römischen Quellen entweder ganz pragmatisch als ante natale Domini (vor dem Geburtsfest des Herrn) oder als adventus Domini (Ankunft des Herrn) bezeichnet wird. Aufgrund seiner weiten Verbreitung geht der Begriff „Advent“ als Lehnwort in viele mitteleuropäische Sprachen über. In der religiösen Sprache der heidnischen Umwelt bedeutet der Begriff die (alljährliche) Ankunft der Gottheit im Tempel. Das frühe Christentum übernimmt diesen Begriff, um mit ihm die Ankunft Christi unter den Menschen auszuzeichnen, und zwar in doppelter Hinsicht: Er steht sowohl für die erste Ankunft Christi in der Welt mit der Geburt Jesu als auch für seine zweite Ankunft in seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. […]
„Die Adventszeit hat einen doppelten Charakter: sie ist einerseits Vorbereitungszeit auf die weihnachtlichen Hochfeste mit ihrem Gedächtnis des ersten Kommens des Gottessohnes zu den Menschen. Andererseits lenkt die Adventszeit zugleich durch dieses Gedenken die Herzen hin zur Erwartung der zweiten Ankunft Christi am Ende der Zeiten. Unter beiden Gesichtspunkten ist die Adventszeit eine Zeit hingebender und freudiger Erwartung.“ (GoKj 39)
Eschatologische (auf die Endzeit bezogene) und vor-weihnachtliche Aspekte durchdringen also beide Phasen des Advents. Dies schlägt sich in der Leseordnung und insbesondere in den Evangelien der vier Adventssonntage nieder. Wie in allen geprägten Zeiten werden die drei Lesungen nach einer thematisch bedingten Auswahl zusammengestellt; dabei ist in allen Lesejahren ein gleichbleibendes Motiv leitend. Die ersten drei Sonntage sind durch die Erzählungen von der Wiederkunft Christi (1. Advent), der Bußpredigt des Johannes (2. Advent) und des Verhältnisses von Jesus und Johannes (3. Advent) geprägt. Zusammen mit den alttestamentlich-messianischen Prophetien, besonders aus dem Buch Jesaja, nimmt die erste Phase des Advents eine Zukunftsperspektive innerhalb des Weihnachtsfestkreises ein: Mit der bevorstehenden Feier der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus geht das liturgische Gedenken nicht bloß zurück in die Heilsgeschichte, vielmehr richtet sie sich erwartungsvoll auf die Zukunft aus, die vom Glauben an die endgültige Ankunft des Erlösers zur Vollendung der Welt geprägt ist. Der vierte Adventssonntag bereitet dagegen mit der Ankündigung der Geburt (Lesejahr A: Mt 1,18–24), der Verheißung der Geburt durch den Engel Gabriel (Lesejahr B: Lk 1,26–38) oder dem Besuch Marias bei Elisabet (Lesejahr C: Lk 1,39–45) das Weihnachtsgeschehen in gespannter Vorfreude unmittelbar vor. Das Tagesgebet ist aus dem Angelusgebet („Engel des Herrn“) bekannt und nimmt die Einheit von Weihnachten und Ostern ins Gebetswort:
„Allmächtiger Gott,
gieße deine Gnade in unsre Herzen ein.
Durch die Botschaft des Engels
haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt.
Führe uns durch sein Leiden und Kreuz
zur Herrlichkeit der Auferstehung.“
[…] Der Advent ist zudem reich an kirchlichen Feiertagen und populärreligiösen Traditionen. Am Gedenktag der heiligen Barbara (4. Dezember) werden Zweige in eine Vase gestellt, damit sie als Symbol des neuen Lebens am Weihnachtsfest aufblühen. Der Gedenktag des heiligen Nikolaus (6. Dezember) ist ein beliebter Termin der Kinderbescherung. Am 8. Dezember feiert die Kirche das „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ (auch „Maria Erwählung“ genannt). Besonders in Skandinavien wird am 13. Dezember die heilige Luzia mit einem großen Lichterfest verehrt. Überhaupt hat sich in den dunklen Tagen des Dezembers ein reichhaltiges Lichtbrauchtum entwickelt. Der Adventskranz, zurückgehend auf den Theologen und Sozialpädagogen Johann Hinrich Wichern (1808–1881), hat seinen ursprünglichen Ort in den abendlichen Hausandachten im „Rauhen Haus“ in Hamburg-Horn, einer 1833 gegründeten Stiftung des Diakonischen Werkes, die verwahr- losten und verwaisten Kindern ein Zuhause geben will. Die Segnung des häuslichen Adventskranzes innerhalb eines Hausgottesdienstes sowie das sonn- oder werktägliche Hausgebet mit Entzünden der Kerzen, Singen von Adventsliedern und Betrachten der Heiligen Schrift ist ein lebendiger Ausdruck einer lebensweltlich verwurzelten Frömmigkeitspraxis. Das „Friedenslicht aus Betlehem“ leuchtet ab dem dritten Adventssonntag in vielen Kirchen, Institutionen und Privathäusern. Es ist mittlerweile ein weltweites Symbol für den Wunsch nach Frieden und Völkerverständigung.
(Auszug aus: Stephan Wahle, Einführung, in: SCHOTT Messbuch Advent und Weihnachtszeit)
SCHOTT Messbuch Advent und Weihnachtszeit (Bestell-Nr. 5624)
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Der Autor der Einführung, Stephan Wahle, erhielt 2016 den Balthasar-Fischer-Preis für seine Habilitationsschrift „Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft“.