Kirchenbaumeister und Stararchitekt Gottfried Böhm starb im Alter von 101 Jahren

Ein­fach, beschei­den und funk­tio­nal, aber auch kom­plex, monu­men­tal und künst­le­risch hat Gott­fried Böhm im Lau­fe sei­nes Archi­tek­ten­le­bens gebaut. Er starb im Alter von 101 Jah­ren am 9. Juni 2021.

Gebo­ren wur­de er in Offen­bach am Main als Sohn des Kir­chen­bau­meis­ters Domi­ni­kus Böhm. Nach dem Stu­di­um der Archi­tek­tur und Bild­haue­rei in Mün­chen (1942–47) arbei­te­te er im Büro sei­nes Vaters in Köln und führ­te es nach des­sen Tod 1955 wei­ter. Sein Erst­lings­werk, der Bau der Kapel­le St. Kolum­ba in Köln 1947–50, ist sym­pto­ma­tisch für die Bau­auf­ga­be der Zeit: kriegs­zer­stör­te Städ­te, feh­len­de Woh­nun­gen. Für eine unbe­haus­te Gesell­schaft baut der jun­ge Archi­tekt an der Stel­le der einst größ­ten Pfarr­kir­che in der Köl­ner Innen­stadt eine Kapel­le für die „Madon­na in den Trüm­mern“, die zu einem inten­si­ven Ort des Gebe­tes wur­de. Sie ist bis heu­te erhal­ten, über­baut von Peter Zum­t­hors Kunst­mu­se­um Kolumba.

Als nach dem Krieg der Blick ins Aus­land ein­fa­cher wur­de, unter­nahm Böhm eine Stu­di­en­rei­se in die USA und begeg­ne­te 1951 dort auch Wal­ter Gro­pi­us und Mies van der Rohe. Doch mehr als die­se beein­fluss­ten das Werk Gott­fried Böhms die Ideen und Zeich­nun­gen, die Plä­ne und Bau­ten sei­nes Vaters Domi­ni­kus. An den frü­hen Sakral­bau­ten fas­zi­niert das Skulp­tu­ra­le. Man möch­te sie anfas­sen, den rau­en Beton berüh­ren. Ber­gen­de Räu­me wie Höh­len ent­stan­den, zugleich aber auch leich­te zelt­för­mi­ge Stahl­be­ton­ske­lett­bau­ten wie die Kir­che St. Albert in Saar­brü­cken (1954) oder der aus sechs halb­kreis­för­mi­gen Kon­chen gebil­de­te Zen­tral­raum der Kir­che St. Ursu­la (1956) in Hürth-Kal­scheu­ren, der am 29.6.2006 durch Dekret des Erz­bi­schofs von Köln pro­fa­niert und heu­te als Gale­rie genutzt wird.

Böhm hat­te einen bedeu­ten­den Anteil am Kir­chen­bau ins­be­son­de­re der 1950er bis 1970er Jah­re. Über 60 Kir­chen ent­stan­den – vor allem im Rhein­land. Ins­be­son­de­re die Kir­chen­bau­ten aus der ers­ten Hälf­te des Böhm­schen Jahr­hun­derts mit ihren skulp­tu­ra­len For­men der Beton­ge­bir­ge las­sen an den Bild­hau­er Gott­fried Böhm den­ken. Sein bedeu­tends­ter und bekann­tes­ter Kir­chen­bau wur­de 1968 geweiht: die Wall­fahrts­kir­che „Maria, Köni­gin des Frie­dens“ in Vel­bert-Nevi­ges, die nach dem Dom größ­te Kir­che des Erz­bis­tums Köln. Das Äuße­re erscheint als eine gewich­ti­ge Beton­skulp­tur wie ein schrof­fes Fels­ge­bir­ge auf­ge­türmt – kan­ti­ge inein­an­der­ge­scho­be­ne archi­tek­to­ni­sche Kör­per, Pyra­mi­den, Kuben. Ein Pil­ger­weg führt hin­auf zur Kir­che, die sich von innen als ein ber­gen­der Raum erweist. Eine Fal­ten­de­cke aus Sicht­be­ton über­spannt den Raum für bis zu 6000 Men­schen wie ein Zeltdach.Die kräf­ti­gen Far­ben der eben­falls von Gott­fried Böhm ent­wor­fe­nen Fens­ter tau­chen den Raum in ein mys­ti­sches Licht. Und den­noch behält er für die Men­schen, die mit ihren Anlie­gen zur Wall­fahrt kom­men, den All­tags­be­zug. Bau­lich drückt sich dies aus durch den Boden­be­lag. Die Pflas­te­rung des Vor­plat­zes endet nicht an einer Schwel­le, son­dern zieht sich hin­ein – etwas anstei­gend – bis hin zum Altar. 

Böhm war mehr als ein her­vor­ra­gen­der Kir­chen­bau­meis­ter. Er bau­te Woh­nun­gen und Büro­häu­ser. Spä­tes­tens seit der Ein­wei­hung des Bens­ber­ger Rat­hau­ses 1967 wur­den er und sein Werk auch in der brei­ten Öffent­lich­keit der Bun­des­re­pu­blik wahr­ge­nom­men. Für das Diö­ze­san­mu­se­um Pader­born schuf Böhm einen ein­drucks­vol­len Muse­ums­bau, der 1975 sei­ner Bestim­mung über­ge­ben wur­de. Der von Offen­heit und Trans­pa­renz gepräg­te Bau in unmit­tel­ba­rer Nähe zum Dom gilt als ers­ter bedeu­ten­der kirch­li­cher Muse­ums­bau in Deutsch­land nach dem Zwei­ten Weltkrieg. 

1986 berich­te­te DER SPIEGEL (Nr. 20): „Gott­fried Böhm, 66, publi­ci­ty­scheu­er Köl­ner Star-Archi­tekt, muß­te am Mitt­woch letz­ter Woche ins Schein­wer­fer­licht“. Als ers­ter deut­scher Archi­tekt wur­de Gott­fried Böhm mit dem renom­mier­ten Pritz­ker-Preis aus­ge­zeich­net, dem „Nobel­preis für Archi­tek­tur“. In sei­ner Dan­kes­re­de for­mu­lier­te Böhm sein Selbst­ver­ständ­nis vom Tun des Archi­tek­ten: „Ein Gebäu­de ist für den Men­schen Raum und Rah­men sei­ner Wür­de, und des­sen Äuße­res soll­te sei­nen Inhalt und sei­ne Funk­tio­nen reflektieren.“

Die Beschäf­ti­gung mit sphä­ri­schen Stahl- und Beton­scha­len präg­te das Spät­werk Böhms. Die­se Ansät­ze flos­sen ein in nicht rea­li­sier­te Ent­wür­fe für die Reichs­tags­kup­pel (1992) oder die Phil­har­mo­nie in Luxem­burg (1997). Schließ­lich wur­de beim Hans-Otto-Thea­ter in Pots­dam (2006) die schüt­zen­de Ges­te gestaf­fel­ter, zu schwe­ben schei­nen­der, palm­we­del­glei­cher Scha­len gebau­te, leben­dig rot-leuch­ten­de Realität.

Möge er nun Gebor­gen­heit bei Gott erfah­ren: „Gib ihm Woh­nung und Hei­mat bei dir.“ (Lit­ur­gie der Begräb­nis­fei­er, Verabschiedungsgebet)

(ap)

 

 

Die Online-Prä­sen­ta­ti­on „Stra­ße der Moder­ne. Kir­chen in Deutsch­land“ doku­men­tiert von Gott­fried Böhm:

Vel­bert-Nevi­ges | Maria, Köni­gin des Friedens

Saar­brü­cken | St. Albert

Kas­sel-Bad Wil­helms­hö­he | Maria Köni­gin des Frie­dens (Fati­ma­kir­che)

 

 

 

Der Doku­men­tar­film „Die Böhms: Archi­tek­tur einer Fami­lie“ (2014; 1 h 28 min) ist bis zum 13.8.2021 in der ARD-Media­thek abrufbar.

 

Offi­zi­el­ler Trai­ler zum Dokumentarfilm

 

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