283Liturgisches Jahrbuch 1/2020

Inhalt der Ausgabe 1/2020

 

Edi­to­ri­al
STRASSE DER MODERNE

Jür­gen Bärsch
»Unent­deck­te Quel­len« zum got­tes­dienst­li­chen Leben in der Vor­mo­der­ne. Tagungsbericht

Chris­tel Köhle-Hezinger
Zur Kul­tur­ge­schich­te des Got­tes­diens­tes. Quel­len aus kul­tur­wis­sen­schaft­li­cher Sicht – eine Umschau

Sebas­ti­an Eck
Gebet­bü­cher als Quel­len der neu­zeit­li­chen Lit­ur­gie­ge­schich­te. Beob­ach­tun­gen zu einem lit­ur­gie­na­hen Buchtyp

Bern­hard Schneider
Zeit­schrif­ten als Quel­le zur Erfor­schung der Lit­ur­gie- und Fröm­mig­keits­ge­schich­te. Beob­ach­tun­gen im Blick auf das frü­he 19. Jahrhundert

Jür­gen Bärsch
Rech­nun­gen als Quel­len für die Liturgiegeschichtsforschung

Buch­be­spre­chun­gen

 

 

 

 


 

Editorial 1/2020: STRASSE DER MODERNE

Vor 70 Jah­ren, im Janu­ar 1950, war die »Roman­ti­sche Stra­ße« zwi­schen Würz­burg und Füs­sen als soge­nann­te Feri­en­stra­ße zur tou­ris­ti­schen Erschlie­ßung einer deut­schen Regi­on ein­ge­rich­tet wor­den. Die an Kunst und Geschich­te rei­che Rou­te durch his­to­ri­sche Städ­te woll­te in der Zeit des begin­nen­den Wirt­schafts­wun­ders das Aus­hän­ge­schild eines freund­li­chen Deutsch­lands sein und die kul­tur­his­to­ri­schen Schät­ze die­ser Orte für eine brei­te­re Öffent­lich­keit erschlie­ßen. Spä­ter kamen vie­le wei­te­re »Stra­ßen« hin­zu, zumeist mit kul­tur­ge­schicht­li­chen oder land­schaft­li­chen The­men: Römer­stra­ße, Bur­gen­stra­ße, Stra­ße der Roma­nik, Ober­schwä­bi­sche Barock­stra­ße, Alpen­stra­ße, Alleenstraße …
Seit nun­mehr fünf Jah­ren exis­tiert auch eine digi­ta­le Stra­ße, die »Stra­ße der Moder­ne«, im Inter­net zu fin­den unter www.strasse-der-moderne.de. Kon­zi­piert und koor­di­niert im Deut­schen Lit­ur­gi­schen Insti­tut, stel­len Kunst­his­to­ri­ker und Theo­lo­gen regel­mä­ßig einen bedeu­ten­den Kir­chen­bau aus Deutsch­land im Inter­net vor. Geglie­dert nach Regio­nen, prä­sen­tiert die Online-Aus­stel­lung Meis­ter­wer­ke des Kir­chen­baus im 20. und 21. Jahr­hun­dert, kaum bekann­te Bau­ten eben­so wie Inku­na­beln der lit­ur­gi­schen Erneue­rung im katho­li­schen und im evan­ge­li­schen Raum. Die Stra­ße der Moder­ne kann auch das Aus­hän­ge­schild einer Kir­che sein, die sich den künst­le­ri­schen Ent­wick­lun­gen und den sich dar­in aus­drü­cken­den Fra­gen der Gegen­wart nicht verschließt.
Das 100-jäh­ri­ge Jubi­lä­um der Grün­dung des Bau­hau­ses in Wei­mar durch Wal­ter Gro­pi­us im Jahr 2019 und der 100. Geburts­tag des Archi­tek­ten Gott­fried Böhm am 23. Janu­ar 2020 rück­ten das The­ma des Kir­chen­baus der Moder­ne ver­stärkt ins Inter­es­se nicht nur in kirch­li­chen Krei­sen und in den Fach­be­rei­chen Archi­tek­tur und Kunst­ge­schich­te, son­dern weit dar­über hin­aus. In Zeit­schrif­ten und Medi­en wur­de in die­sem Zusam­men­hang häu­fig auf die »Stra­ße der Moder­ne« auf­merk­sam gemacht. Eine ähn­li­che Initia­ti­ve stellt seit dem Bau­haus-Jubi­lä­um unter der Bezeich­nung »Grand Tour der Moder­ne« her­aus­ra­gen­de Bei­spie­le der Archi­tek­tur des 20. Jahr­hun­derts im Inter­net vor. Die Fra­ge der Zukunft von Kir­chen­bau­ten stellt sich an vie­len Orten. Wenn Ent­schei­dun­gen über das Erhal­ten oder das Auf­ge­ben von Kir­chen­ge­bäu­den getrof­fen wer­den müs­sen, haben die Nach­kriegs­bau­ten häu­fig die schlech­te­ren Kar­ten. Bis­wei­len ist ihre Bau­sub­stanz nicht so bestän­dig, sie bil­den auf­grund ihrer Lage in Wohn­ge­bie­ten kei­nen prä­gen­den Bestand­teil eines Orts­bil­des oder hat­ten es viel­leicht von Anfang an schwer in der Akzep­tanz der Gemein­de. Auch wenn sie nicht für die heu­ti­gen For­men der Lit­ur­gie erbaut wor­den sind, haben es his­to­ri­sche Gebäu­de, die dem klas­si­schen Bild einer Kir­che ent­spre­chen, oft leich­ter, als Anders-Räu­me und Räu­me für die Fei­er der Gegen­wart Got­tes in der Welt wahr­ge­nom­men zu wer­den. Dabei gehö­ren gera­de auch Kir­chen, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg errich­tet wur­den, zu den her­aus­ra­gen­den Bau­ten moder­ner Archi­tek­tur, und auch sie bil­den oft die ein­zi­gen öffent­li­chen Räu­me in Stadt­tei­len und Ortschaften.
Kir­chen­ge­bäu­de bil­den nicht nur Fix­punk­te eines Stadt- oder Dorf­bil­des, son­dern sind für vie­le Men­schen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­punk­te ihrer eige­nen Geschich­te und der Geschich­te ihrer Fami­lie. Umso schmerz­li­cher ist der Ver­lust einer Kir­che. Wenn sich auch Men­schen, die nicht zur regel­mä­ßi­gen Got­tes­dienst­ge­mein­de gehö­ren, für den Erhalt ihrer Kir­che ein­set­zen, zeigt dies vie­ler­orts, welch hohen Wert der Kir­chen­bau für sie besitzt. Jede Kir­che, die aus dem Leben ver­schwin­det, schwächt die Prä­senz des Christ­li­chen in der Gesell­schaft. Frei­lich soll­te auch bei Kir­chen, deren Bestand nicht gefähr­det ist, die Fra­ge erlaubt sein, inwie­weit sie für die Men­schen außer­halb von Got­tes­diens­ten als Räu­me der Stil­le und der Begeg­nung mit Gott erleb­bar sind und offen stehen.
Auch wenn man­che Kir­chen­schlie­ßung unver­meid­lich scheint und es wohl auch ist, soll­ten vor der Auf­ga­be eines Kir­chen­ge­bäu­des alle Mög­lich­kei­ten des Erhal­tens ein­ge­hend bedacht und geprüft wer­den. Die Poten­tia­le, die sowohl his­to­ri­sche als auch moder­ne Bau­ten bie­ten, schei­nen noch längst nicht genü­gend in den Blick genom­men und krea­tiv genutzt zu wer­den. Man­cher­orts gelingt es, ande­re Nut­zer dafür zu gewin­nen, Mit­ver­ant­wor­tung für den Kir­chen­bau zu über­neh­men. Nut­zungs­er­wei­te­run­gen kön­nen dabei hel­fen, wenn durch sie nicht der Vor­rang der lit­ur­gi­schen Nut­zung in Fra­ge gestellt wird.
Erfreu­li­cher­wei­se konn­te im letz­ten Jahr an der Katho­lisch-Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn eine von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft geför­der­te For­schungs­grup­pe unter Lei­tung von Prof. Dr. Albert Ger­hards ihre Arbeit auf­neh­men, die die Trans­for­ma­ti­on von Kir­chen­bau­ten unter­sucht. Ziel des auf meh­re­re Jah­re ange­leg­ten Pro­jek­tes ist es, Kri­te­ri­en für die Pro­zes­se von Nut­zungs­er­wei­te­run­gen zu ent­wi­ckeln, die einer­seits die Inter­es­sen ver­schie­de­ner Nut­zer berück­sich­ti­gen, ande­rer­seits der Inte­gri­tät des Kir­chen­rau­mes Rech­nung tra­gen. Der Schwer­punkt der zu unter­su­chen­den Bei­spie­le liegt dabei auf den Regio­nen Aachen und Leip­zig. Es ist zu wün­schen, dass die Ergeb­nis­se die­ses For­schungs­pro­jek­tes eine brei­te Öffent­lich­keit und Reso­nanz inner­halb wie außer­halb der Kir­chen fin­den und die Dring­lich­keit des The­mas bewusst halten.

Dr. Mari­us Linnenborn
Lei­ter des Deut­schen Lit­ur­gi­schen Instituts

DEUTSCHES LITURGISCHES INSTITUT
Weberbach 72 a, D-54290 Trier, Telefon: +49-651-94808-0
Fax: +49-651-94808-33, eMail: dli@liturgie.de