275Liturgisches Jahrbuch 1/2021

Inhalt der Ausgabe 1/2021

 

Edi­to­ri­al
GOTTESDIENST UNTER PANDEMIEBEDINGUNGEN

Andre­as Odenthal
Got­tes­diens­te online, hygie­nisch und sys­tem­re­le­vant? Sie­ben The­sen über »ritu­el­le Erfah­rung« in der Corona-Krise

Micha­el Meyer-Blanck
Kom­mu­ni­on vor dem hei­mi­schen Moni­tor? Got­tes­dienst und Abend­mahl unter den Bedin­gun­gen der Corona-Pandemie

Simon Peng-Kel­ler
»Geist­li­che Kom­mu­ni­on« online. Zur digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on lit­ur­gi­scher Partizipation

Ordens­frau­en für Menschenwürde
Lit­ur­gisch-ritu­el­les Han­deln unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen. Der Text »Fül­le in der ver­ord­ne­ten Lee­re« der Grup­pe Ordens­frau­en für Men­schen­wür­de und sei­ne Wirkungsgeschichte

Ste­phan Winter
Gestal­ten eucha­ris­ti­scher Anbe­tung. Anmer­kun­gen zu einer Stu­die von Ste­fa­nie Maria Höltgen

 

 

 

 

 

 


 

Editorial 1/2021: GOTTESDIENST UNTER PANDEMIEBEDINGUNGEN

Die Coro­na-Pan­de­mie hat die Welt nach wie vor im Griff. Dadurch sind auch die Reli­gio­nen mas­siv her­aus­ge­for­dert – nicht zuletzt hin­sicht­lich ihrer ritu­el­len Pra­xen. Einer der Roma­ne, die in die­ser Zeit von vie­len (wieder)gelesen wor­den sind, ist Camus’ Die Pest. Der Arzt Dr. Rieux ist des­sen zen­tra­le Figur. An einer Stel­le muss sich Rieux mit dem kon­kre­ten Wunsch Ram­berts aus­ein­an­der­set­zen, die abge­rie­gel­te Stadt um der Begeg­nung mit einem gelieb­ten Men­schen wil­len ver­las­sen zu dür­fen – ein Wunsch, den Rieux um des Infek­ti­ons­schut­zes wil­len ablehnt. Ram­bert reagiert harsch: Rieux man­ge­le es an Empa­thie, er spre­che die »Spra­che der Ver­nunft«1 und sei »in der Abs­trak­ti­on« (ebd.), aber das »Wohl des Vol­kes setzt sich aus dem Glück der ein­zel­nen Bür­ger zusam­men.« (58) Nach die­ser Begeg­nung reflek­tiert Rieux Ram­berts Vor­wurf: »Ram­bert hat­te recht mit sei­nem unbän­di­gen Ver­lan­gen nach Glück. Aber hat­te er auch recht, wenn er ihn anklag­te? […] War das wirk­lich die Abs­trak­ti­on, all die Tage, die er im Spi­tal ver­brach­te, wo die Pest immer gefrä­ßi­ger wur­de und jede Woche durch­schnitt­lich fünf­hun­dert Opfer for­der­te? Ja, es gab in dem Elend einen Teil Abs­trak­ti­on und Unwirk­lich­keit. Aber wenn die Abs­trak­ti­on anfängt, einen zu töten, dann muß man sich wohl oder übel mit ihr beschäf­ti­gen. […] Um gegen die Abs­trak­ti­on kämp­fen zu kön­nen, muß man ihr ein wenig glei­chen.« (59.61) – Wich­ti­ge Grund­zü­ge wis­sen­schaft­li­cher Theo­lo­gie, inso­fern sie prak­tisch wird, ist es u. a., in Situa­tio­nen hin­ein­zu­ge­hen und hin­ein­zu­hö­ren, die Men­schen qua ihres Mensch­seins gemein­sam exis­ten­ti­ell betref­fen, und das, was sich hier kon­den­siert, mit Evan­ge­li­um und Glau­bens­tra­di­tio­nen in Dia­log zu brin­gen – also: mit­ten im kon­kret (Be)Drängenden (auch) abs­trakt zu wer­den. Wenn es in die­sem Heft um die Refle­xi­on auf den Got­tes­dienst unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen geht, trei­ben die Bei­trä­ge jeweils auf ihre Art Theo­lo­gie in die­sem Sin­ne. Sr. Hil­de­gard Schrei­er und Sr. Sara Thiel von der Grup­pe Ordens­frau­en für Men­schen­wür­de schrei­ben im Aus­gang von ihren eige­nen Erfah­run­gen und doku­men­tie­ren, wie kon­kre­te Gemein­schaf­ten ver­sucht haben, mit den pan­de­mie­be­ding­ten Ein­schrän­kun­gen theo­lo­gisch ver­ant­wor­tet umzu­ge­hen. Deut­lich wird, dass dabei Wei­chen­stel­lun­gen des Zwei­ten Vati­ka­nums zur Lit­ur­gie neu und ver­tief­ter ent­deckt wer­den konn­ten. – Micha­el Mey­er-Blanck blickt auf die Trans­for­ma­tio­nen lit­ur­gi­scher Pra­xis als Teil der Umwäl­zun­gen unse­rer Kul­tur. Er pro­ble­ma­ti­siert inner­halb eines evan­ge­li­schen Denk­rah­mens eine unkri­ti­sche Favo­ri­sie­rung der zuletzt gewach­se­nen digi­ta­len got­tes­dienst­li­chen For­men, ohne deren gro­ßes Poten­ti­al gering­zu­ach­ten. Zen­tra­les Kri­te­ri­um jed­we­den got­tes­dienst­li­chen Han­delns soll­te sein, dass es die unbe­dingt heils­not­wen­di­ge Chris­tus­nä­he för­dert. Auf die­ser Basis sind dann auch die Opti­on der Mit­fei­er eines Abend­mahls via tech­nisch-media­le Ver­mitt­lung bzw. die eines (par­ti­el­len) Abend­mahl­fas­tens zu dis­ku­tie­ren. – Simon Peng-Kel­ler legt aus katho­li­scher Denk­tra­di­ti­on Über­le­gun­gen zur geist­li­chen Kom­mu­ni­on unter Bedin­gun­gen gestei­ger­ter Digi­ta­li­sie­rung vor. Er plä­diert klar dafür, erreich­te Stan­dards einer com­mu­nio­na­len Anla­ge der Lit­ur­gie nicht zu unter­schrei­ten. Des­halb sind im Fall auch digi­tal gefei­er­ter Got­tes­diens­te pri­mä­rer Lit­ur­gie­raum, digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum und Lebens­räu­me der Betei­lig­te jeweils für sich und in ihrem Zuein­an­der sehr sorg­fäl­tig zu gestal­ten. Wenn alle Mit­fei­ern­den inter­ak­tiv ein­be­zo­gen wer­den, ist die Basis für eine gemein­sa­me geist­li­che Kom­mu­ni­on gelegt, die prin­zi­pi­ell auch dann tra­gen kann, wenn nur inner­halb des lit­ur­gi­schen Rau­mes i. e. S. phy­sisch die sakra­men­ta­le Kom­mu­ni­on zu emp­fan­gen ist. – Der katho­li­sche Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­ler Andre­as Oden­thal wie­der­um sieht eine Viel­zahl an Pro­blem­stel­lun­gen, die die Lit­ur­gie betref­fen, durch die Pan­de­mie noch­mals ver­stärkt zu Tage tre­ten. Von einem ela­bo­rier­ten Kon­zept lit­ur­gi­scher Erfah­rung her, das sich maß­geb­lich aus dem Dia­log der Theo­lo­gie mit der Psy­cho­ana­ly­se speist, ent­wirft er in sie­ben The­sen Kon­tu­ren eines Got­tes­diens­tes, der Hoff­nung wie Vul­nera­bi­li­tät mensch­li­chen Daseins glei­cher­ma­ßen ein­zu­be­zie­hen und gera­de des­halb die Situa­ti­on von Kir­che als einer Gemein­schaft, die aus dem Grün­dungs­ver­schwin­den am Oster­mor­gen (de Cer­teau) her­vor­geht, zu reprä­sen­tie­ren vermag.

1 Albert Camus, Die Pest (franz. Ori­gi­nal: La Pes­te, Paris 1947), deut­sche Übers. von Gui­do G. Meis­ter, Ham­burg 1958, 58; dort auch die nächs­ten, nur mit Sei­ten­zah­len aus­ge­wie­se­nen Zitate.

 

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