268Liturgisches Jahrbuch 1/2022

Inhalt der Ausgabe 1/2022

 

Edi­to­ri­al

Albert Ger­hards
Die Zukunft der Kir­chen­ge­bäu­de. Zu einem For­schungs­pro­jekt »Sakral­raum­trans­for­ma­ti­on«

Chris­ti­an Bauer
Hei­lig­keit jen­seits des Sakra­len? St. Maria in Stutt­gart – ein drit­ter Weg der Kirchennutzung

Win­fried Haunerland
Kri­ti­sche und selbst­kri­ti­sche Lit­ur­gie­wis­sen­schaft. Brei­ten­re­li­gio­si­tät als Herausforderung

Jür­gen Bärsch
Papst Bene­dikt XV. (1914–1922) und die Lit­ur­gie. Eine lit­ur­gie­his­to­ri­sche Spu­ren­su­che aus Anlass des 100. Todestages

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Editorial 1/2022: KIRCHENRÄNUME IN TRANSFORMATIONSPROZESSEN

Mit­te März 2022, die Zeit, in der die­ses Heft zusam­men­ge­stellt und auf den Weg zur Druck­le­gung gebracht wird, befin­det sich die Welt in einem düs­te­ren Kri­sen­mo­dus: der ver­bre­che­ri­sche Krieg, den der rus­si­sche Dik­ta­tor gegen­über der Ukrai­ne führt, ohne Rück­sicht auf die Zivil­be­völ­ke­rung zu neh­men; die gigan­ti­schen Flücht­lings­strö­me von vor­wie­gend Frau­en und Kin­dern, die auf den siche­ren Wes­ten hof­fen, und der die Flücht­lin­ge ande­rer Kul­tu­ren und Kon­flik­te medi­al fast unsicht­bar macht; die noch kaum abseh­ba­ren Fol­gen für die geo­po­li­ti­schen und -wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen der kom­men­den Mona­te und Jah­re, die anhal­ten­de Coro­na-Pan­de­mie mit der Sor­ge um wei­te­re Virus-Vari­an­ten … – all das bestimmt die Stim­mungs­la­ge der­zeit. Die Kir­chen ste­hen dem­ge­gen­über geschwächt da. Zwar gibt es ein über­wäl­ti­gen­des, bewun­derns­wer­tes Enga­ge­ment in vie­len Gemein­den und kirch­li­chen Grup­pen. Die Hil­fe für die Men­schen in der Ukrai­ne ist groß, die Bereit­schaft, Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, rie­sig. Aber die geist­lich-mora­li­sche Kraft der bei­den gro­ßen christ­li­chen Kir­chen wirkt doch eigen­tüm­lich blass. Dazu passt die Mel­dung, dass die Evan­ge­li­sche Kir­che in Deutsch­land 2021 einen Höchst­stand an Aus­trit­ten zu bekla­gen hat und damit erst­mals unter die 20-Mil­lio­nen-Mar­ke fällt;1 die ent­spre­chen­den Zah­len für die katho­li­sche Kir­che wer­den mut­maß­lich nicht weni­ger scho­ckie­rend ausfallen.
Auf die­sem Hin­ter­grund schrei­tet der Trend vor­an, Kir­chen auf­zu­ge­ben, die nicht mehr für den Got­tes­dienst benö­tigt wer­den oder deren wirt­schaft­li­cher Unter­halt in kei­ner Rela­ti­on zu der gerin­gen Aus­nut­zung zu ste­hen schei­nen. Was vor zwei Jahr­zehn­ten im Ruhr­bis­tum Essen noch deutsch­land­weit öffent­li­che Auf­merk­sam­keit her­vor­ge­ru­fen hat, bestimmt längst die kirch­li­che Wirk­lich­keit in nahe­zu allen deut­schen Diö­ze­sen. Dass damit nicht ein­fach ein pas­to­ral- und wirt­schafts­stra­te­gi­sches Feld berührt wird, das nur mar­gi­nal das Inter­es­se der Theo­lo­gie und der Lit­ur­gie­wis­sen­schaft weckt, zei­gen die bei­den ers­ten Bei­trä­ge die­ses Heftes.
Vor zwei Jah­ren begann die Arbeit eines von Albert Ger­hards, dem eme­ri­tier­ten Bon­ner Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­ler, initi­ier­ten, inter­dis­zi­pli­nä­ren Pro­jek­tes, das »Sakral­raum­trans­for­ma­tio­nen. Funk­ti­on und Nut­zung reli­giö­ser Orte in Deutsch­land« unter­sucht. Exem­pla­risch wer­den dabei das Bis­tum Aachen und die Stadt Leip­zig mit ihrer Umge­bung in den Blick genom­men. In sei­nem Zwi­schen­be­richt infor­miert er über die inhalt­li­che For­schungs­per­spek­ti­ve, die davon aus­geht, dass jeg­li­che Trans­for­ma­ti­on von Sakral­räu­men als ein inter­ak­ti­ver Pro­zess begrif­fen wer­den muss, bei dem Nut­zer, Nach­nut­zer und Raum in ein Gespräch kom­men. Dabei ist es eine Auf­ga­be auch der Theo­lo­gie, die­se Ver­än­de­rungs­pro­zes­se zu begleiten.
Ein kon­kre­tes Bei­spiel für einen per­spek­ti­ven­rei­chen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess stellt der Inns­bru­cker Pas­to­ral­theo­lo­ge, Chris­ti­an Bau­er, vor. Die bau­fäl­li­ge Kir­che St. Maria in Stutt­gart wur­de durch das Zusam­men­wir­ken eines jun­gen Teams von Archi­tek­tin­nen und Archi­tek­ten mit pas­to­ra­len Kräf­ten vor Ort unter dem Label »St. Maria als …« zu einem neu bespiel­ten, offe­nen Raum. Die dar­in gespei­cher­ten ekkle­sio­lo­gisch-pas­to­ra­len Impli­ka­tio­nen zei­gen exem­pla­risch mög­li­che, theo­lo­gisch trag­fä­hi­gen Aspek­te, die in den Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­sen von und in den Kir­chen­räu­men lie­gen können.
Zwei wei­te­re Bei­trä­ge ergän­zen den the­ma­ti­schen Schwer­punkt. Mit dem Ablauf des Win­ter­se­mes­ters 2021/22 been­de­te der Mün­che­ner Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­ler, Win­fried Hau­ner­land, sei­ne akti­ve Zeit als Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor. Aus pan­de­mie­be­ding­ten Grün­den konn­te die geplan­te Abschieds­vor­le­sung nicht statt­fin­den. Um den­noch der aka­de­mi­schen Gepflo­gen­heit zu ent­spre­chen, liegt die Abschieds­vor­le­sung hier wenigs­tens in schrift­li­cher Fas­sung vor. Im Rück­blick auf das eige­ne lit­ur­gie­wis­sen­schaft­li­che Wir­ken und ver­bun­den mit bio­gra­phi­schen Erin­ne­run­gen geht Hau­ner­land auf die kri­ti­sche und selbst­kri­ti­sche Rol­le der Lit­ur­gie­wis­sen­schaft ein.
Ein äuße­res Datum, der 100. Todes­tag Papst Bene­dikts XV., ist Anlass für einen Blick auf die Rol­le, die die­ser Papst in der sich ent­wi­ckeln­den Lit­ur­gi­schen Bewe­gung gespielt hat. Jür­gen Bärsch, Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­ler in Eich­stätt, zeigt, dass die­ser Pon­ti­fi­kat nicht nur in der jün­ge­ren Papst­ge­schich­te eher im Schat­ten stand, auch im Zuge der lit­ur­gi­schen Erneue­rung in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wur­de er bis­her – zu Unrecht – kaum wahrgenommen.

1 Vgl. www.katholisch.de/artikel/33432-erstmals-weniger-als-20-millionen-protestanten-in-deutschland (letz­ter Zugriff: 10.3.2022).

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