Liturgisches Jahrbuch 3/2018
Inhalt der Ausgabe 3/2018
Editorial
GOTTESDIENST ALS PERFORMANCE
Stephan Wahle
Krippe – Christbaum – Lechterkerke. Die Christmette als sinnliches Erlebnis
Vera Henkelmann
Künstliches Licht im mittelalterlichen Sakralraum – eine erste Annäherung
Christof Diedrichs
»… und es ist niemand da, dem nicht die Haare zu Berge stehen und Thränen in die Augen treten.«. Die Inszenierung von Heiltumsweisungen im 15. und frühen 16. Jahrhundert
Editorial 3/2018: GOTTESDIENST ALS PERFORMANCE
Viele Menschen wünschen sich eine Liturgie, die sie als spirituell ergreifend und »erlebnisstark« wahrnehmen können. Dass dies offenbar seltener gelingt, zeigt eine Studie des Bistums Münster, wonach 25 % der Katholiken unzufrieden mit den real gefeierten Gottesdiensten sind. Wenngleich das Wesentliche der Liturgie nicht vom menschlichen Handeln, von persönlicher Kreativität oder gar raffiniertem Einfallsreichtum abhängig ist, bleibt die Aufgabe, das uns Menschen Mögliche zu einer lebendigen und fruchtbaren Feier beizutragen. Damit stellt sich die Frage, wie die künstlerischen und kulturellen Ausdrucksformen des Gottesdienstes so gestaltet werden können, dass sie den Mitfeiernden helfen, sich für das Geschehen der Liturgie zu öffnen.
Die in der Liturgiekonstitution ausgesprochene Erfahrung, dass sich der Dialog zwischen Gott und Mensch in der Liturgie »in sinnenhaften Zeichen« ereignet (SC 7), verweist auf die vielfältige sensorische Dimension des Gottesdienstes. Über die Ebene der gesprochenen und gesungenen Texte hinaus spielen hier Gesten, Handlungen und Bewegungsabläufe eine wesentliche Rolle. Raum, Musik und Bild, Gewand und Gerät sprechen Gesichts-, Gehör- und Geruchssinn an und sind wesentliche Träger zeichenhafter Ausdrucksformen des Gottesdienstes. Bei alledem geht es nicht um eine geschickte, auf ihre Wirksamkeit berechnete Inszenierung, sondern um die Feier des Gottesdienstes, die den Menschen ganzheitlich ernst nimmt. Insofern steht die Liturgie immer auch unter der Prämisse der Performance.
Diese Erkenntnis hat die Tagung »Liturgie – Kunst – Kultur«, die vom 4. bis 7. September 2017 in der Akademie Franz Hitze Haus, Münster, stattfand, aufgegriffen, um der Multimedialität ritueller Performance nachzugehen. Im Mittelpunkt des Interesses standen nonverbale Kommunikationsformen und ihre materiellen Kontexte, wie sie in den verschiedenen Epochen der Liturgie- und Kunstgeschichte bis zur Gegenwart die Inszenierung des Gottesdienstes mitbestimmt haben. Drei schwerpunktmäßig historisch orientierte Vorträge werden in diesem Heft dokumentiert.
Stephan Wahle, apl. Professor für Liturgiewissenschaft und Leiter der Arbeitsstelle »Liturgie und Kultur« an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., geht der Inszenierung des Weihnachtsgeschehens in Liturgie und familiärem Brauch nach. Er bringt dabei vor allem die Rolle von Weihnachtskrippe, Christbaum und weiteren luzernaren Riten zur Sprache und macht auf die weitreichende Prägung dieser Elemente für das Weihnachtsfest bis heute aufmerksam. Wie umfassend die mittelalterliche Liturgie künstliches Licht in Form von Feuer, Leuchtern, Kerzen und Fackeln nutzte, zeigt der Beitrag von Vera Henkelmann, freiberufliche Kunsthistorikerin in Eschweiler. Sie erläutert exemplarisch verschiedene Lichtriten, die für die mittelalterliche Wahrnehmung des Kirchenraums und der in ihr gefeierten Gottesdienste eine zentrale Bedeutung besaßen. Schließlich nimmt sich Christof L. Diedrichs, Kunsthistoriker an der Victor-Klemperer-Akademie in Ballrechten-Dottingen, der Inszenierung der spätmittelalterlichen Heiltumsweisungen an und greift dafür auf eine der ältesten deutschen Heiltumsweisungen zurück, die bis heute bekannte »Heiltumsfahrt« in Aachen. Auch hier wird deutlich, wie sich in einer multimedialen Inszenierung eine spezifische gottesdienstliche Ereigniskultur der Vormoderne entfaltete.
Alle drei Aufsätze gewähren im Schnittfeld von Kultur und Kunst Einblicke in das sinnenreiche gottesdienstliche Leben vergangener Epochen. Sie bieten damit einen Beitrag zur liturgiehistorischen Erforschung der sensorischen Dimensionen des Gottesdienstes, regen aber ebenso an, die inszenatorische Relevanz der Liturgie heute ernst zu nehmen.