272Liturgisches Jahrbuch 3/2021

Inhalt der Ausgabe 3/2021

 

Edi­to­ri­al
»Gemein­sam am Tisch des Herrn«

Kim­ber­ly Hope Belcher
Das Sam­meln der Frag­men­te. Die his­to­ri­sche Lit­ur­gie­wis­sen­schaft in »Gemein­sam am Tisch des Herrn« und ihre Früchte

Theo­dor Dieter
Offe­ne Kom­mu­ni­on beim Her­ren­mahl. Zur Stu­die des ÖAK »Gemein­sam am Tisch des Herrn«

Judith Hahn
Gewis­sens­ent­schei­dun­gen in der Lit­ur­gie. Eine kir­chen­recht­li­che Perspektive

Buch­be­spre­chun­gen

 


 

Editorial 3/2021: »Gemeinsam am Tisch des Herrn«

Von Bene­dikt Kra­ne­mann und Ste­phan Winter

Am 11. Sep­tem­ber 2019 wur­de das Votum »Gemein­sam am Tisch des Herrn« des Öku­me­ni­schen Arbeits­krei­ses evan­ge­li­scher und katho­li­scher Theo­lo­gen (ÖAK) der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert.1 Seit­her wird das Papier bzw. wer­den eini­ge sei­ner Ergeb­nis­se und Schluss­fol­ge­run­gen in den unter­schied­lichs­ten Wei­sen auf­ge­nom­men und – teil­wei­se sehr kon­tro­vers – dis­ku­tiert.2 Die Auf­sät­ze die­ses Lit­ur­gi­schen Jahr­bu­ches leis­ten einen Bei­trag zu die­sen Dis­kus­sio­nen. Hier wol­len wir zunächst den grö­ße­ren Rah­men skiz­zie­ren, in dem aus unse­rer Sicht die Debat­ten (auch) ver­or­tet sind. Dabei geht es um die adäqua­te Ver­hält­nis­be­stim­mung der ver­schie­de­nen Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­ebe­nen hin­sicht­lich der lit­ur­gi­schen Pra­xis. Dazu lie­ße sich z. B. bei ent­spre­chen­den Dif­fe­ren­zie­run­gen zum Authen­ti­zi­täts­be­griff anset­zen. Im Anschluss an sol­che Vor­schlä­ge3 las­sen sich drei Ebe­nen »authen­ti­scher Lit­ur­gie« unterscheiden:
(Aut1) Authen­ti­zi­tät im Blick auf die Über­ein­stim­mung mit über­ge­ord­ne­ten Vor­ga­ben, die teil­wei­se mit dem Anspruch auf uni­ver­sal­kirch­li­che Ver­bind­lich­keit ver­knüpft sind: Der Grad an Authen­ti­zi­tät in die­sem Sin­ne bemisst sich dar­an, inwie­fern die Tex­te und Riten einer lit­ur­gi­schen Fei­er mit kir­chen­of­fi­zi­el­len Rege­lun­gen über­ein­stim­men (vgl. inner­halb des römi­schen Ritus etwa das Kon­zept der Edi­tio­nes typi­cae). Sol­che Authen­ti­zi­tät bringt zum Aus­druck, dass es eine kirch­li­che Ein­heit gibt, die sich in gewis­ser Hin­sicht in Ein­heit­lich­keit bzw. Ein­för­mig­keit bestimm­ter ritu­ell-got­tes­dienst­li­cher Ord­nun­gen, Gewohn­hei­ten u. ä. niederschlägt.
(Aut2) … im Blick auf die kon­kre­te Fei­er­ge­mein­de: Authen­tisch Lit­ur­gie zu fei­ern kann auch mei­nen, dass eine kon­kre­te ritu­ell-got­tes­dienst­lich kon­sti­tu­ier­te Gemein­schaft ihrem Selbst­ver­ständ­nis nach glaub­wür­dig prak­ti­ziert, dar­über auch in Kom­mu­ni­ka­ti­on ist. Es geht dar­um, ob die von ihr rea­li­sier­te lit­ur­gi­sche Ästhe­tik grund­sätz­lich reprä­sen­tiert, was die­se Gemein­schaft an Bedeu­tungs­zu­schrei­bun­gen damit ver­bin­det, ins­be­son­de­re, ob sich dar­in ihre Got­tes­be­zie­hung und ihr Glau­be adäquat verwirklicht.
(Aut3) … im Blick auf das ritu­ell-got­tes­dienst­lich han­deln­de Indi­vi­du­um: Wird Authen­ti­zi­tät als Eigen­schaft der ein­zel­nen Per­son betrach­tet, geht es um die Fra­ge, inwie­fern sich die/der Ein­zel­ne auch mit dem per­sön­li­chen Glau­ben, eige­ner Spi­ri­tua­li­tät und Fröm­mig­keit in einer Lit­ur­gie wie­der­fin­den kann. Authen­ti­zi­tät bemisst sich dann dar­an, inwie­fern eine Lit­ur­gie erlaubt, dass Men­schen »das ›Inners­te‹ […], ihr inners­tes Berührt- und Betei­ligt­sein ins Spiel [brin­gen]. Wo sie nicht mehr von die­sem Inners­ten her gelebt wird, ist sie nicht mehr leben­dig machend, Leben öff­nend und erwei­ternd.«4
Rich­tig ist, dass von der inne­ren Logik ritu­ell-got­tes­dienst­li­cher Pra­xis, die auf der Grund­la­ge biblisch-christ­lich-kirch­li­chen Glau­bens geschieht, das kom­ple­xe Zuein­an­der von (Aut1–3) unbe­dingt Beach­tung fin­den muss, wenn Authen­ti­zi­tät ins­ge­samt geför­dert wer­den soll. Weni­ger klar ist in ein­schlä­gi­gen Argu­men­ta­tio­nen aller­dings oft, dass man nicht umhin­kommt, in (hoch­gra­dig) moder­ni­sier­ten Kon­tex­ten mit allen ent­spre­chen­den Über­le­gun­gen zunächst kon­se­quent bei der Authen­ti­zi­tät des Indi­vi­du­ums – (Aut3) – anzu­set­zen, denn: Der Authen­ti­zi­täts­be­griff ist heu­te5, da Mul­ti­op­tio­na­li­tät jed­we­de Daseins­ge­stal­tung prägt, nur adäquat unter Ein­be­zie­hung der per­so­na­len Per­spek­ti­ve zu fas­sen. Mit der Phi­lo­so­phin Isol­de Cha­rim for­mu­liert: »Reli­giö­se Iden­ti­tät funk­tio­niert heu­te nicht mehr nach dem Modus der vol­len Iden­ti­tät. Selbst der über­zeug­tes­te Gläu­bi­ge gehört heu­te sei­ner Gemein­schaft nicht mehr voll an, son­dern gewis­ser­ma­ßen nur noch nicht-voll. Nicht-voll aber heißt, dass die eige­ne Über­zeu­gung und auch Bin­dung immer Bescheid weiß, dass sie nur eine Mög­lich­keit unter ande­ren ist.«6 (Aut1) und (Aut2) sind von daher nur als Ergeb­nis einer ent­schie­de­nen Zustim­mung der ein­zel­nen Gläu­bi­gen plau­si­bel zu machen. Men­schen wer­den nicht mehr in eine Über­lie­fe­rung ein­ge­ord­net, sie eig­nen sich Tra­di­tio­nen an – oder eben auch nicht: »Die selbst gewähl­te Tra­di­ti­on (was für ein Para­do­xon!) hat den gegen­tei­li­gen Effekt von frü­he­rer Reli­gio­si­tät: Statt durch die Ein­rei­hung in die Ket­te der Genera­tio­nen ent-sub­jek­ti­viert zu wer­den, wird das Ich, indem es wählt, gestärkt.«7 Sol­che Stär­kung ist so gese­hen aber auch Ergeb­nis eines erheb­li­chen Mehr­auf­wan­des der Ein­zel­nen, die z. T. immens in ihre Iden­ti­täts­ent­wick­lung inves­tie­ren müssen.
Dem­ge­mäß the­ma­ti­siert »der Authen­ti­zi­täts­dis­kurs die Über­ein­stim­mung von Ent­wurf und Voll­zug von Leben: Der Lebensvoll­zug eines Men­schen ent­spricht mehr oder weni­ger dem Lebensent­wurf, den sich die­ser Mensch gibt und den er kom­mu­ni­ziert.«8 Phi­lo­so­phisch betrach­tet, las­sen sich die Bezie­hun­gen zwi­schen (Aut1–3) von daher zurück­zu­füh­ren auf die Grund­pa­ra­do­xien moder­ner Frei­heit über­haupt. Die­se Para­do­xien sind «Aus­druck der begriff­li­chen Grund­span­nun­gen zwi­schen Auto­no­mie und Hete­ro­no­mie einer­seits, Auto­no­mie und Authen­ti­zi­tät ande­rer­seits«9: Die indi­vi­du­el­le Frei­heit als »das alles ent­schei­den­de und unver­zicht­ba­re Prin­zip mora­li­scher Bewer­tung« ist not­wen­dig dadurch gekenn­zeich­net, dass deren Auto­no­mie unbe­dingt zu ach­ten ist; zugleich aber stre­ben die ein­zel­nen Men­schen nach Authen­ti­zi­tät: danach, »ein Leben zu füh­ren, das Bedeu­tung und tie­fen Gehalt besitzt, das mich als Indi­vi­du­um gera­de aus der Mas­se her­aus­hebt, kein Leben von der Stan­ge ist«. Damit sind die Pole der »tie­fen inne­ren begriff­li­chen Span­nung jener Dimen­sio­nen« benannt, »die dem Kon­zept der Auto­no­mie zugleich zukom­men sol­len, Selbst­ge­setz­ge­bung, Selbst­bin­dung und Selbstverwirklichung.«
Theo­lo­gisch sind vor die­sem Hin­ter­grund in der aktu­el­len Ent­wick­lungs­pha­se im Blick auf die Lit­ur­gie des­halb zwei Pole gezielt ein­zu­be­zie­hen: Einer­seits geht es um die Stär­kung bzw. Wie­der­ent­de­ckung der kirch­li­chen Gemein­schaft in unter­schied­li­chen For­men und damit die ekkle­sia­le Bedeu­tung der Sakra­men­te bzw. jed­we­der lit­ur­gi­schen Fei­er; ande­rer­seits ist die Bedeu­tung der*des ein­zel­nen Gläu­bi­gen in seiner*ihrer ein­ma­li­gen Wür­de und unver­tret­ba­ren Ver­ant­wor­tung sowie mit seinem*ihrem Glau­bens­sinn10 noch­mals ver­tief­ter, als bis­lang weit­hin gesche­hen, zu the­ma­ti­sie­ren. Mit etwai­gen Refle­xio­nen und Hand­lungs­stra­te­gien kon­se­quent bei (Aut3) anzu­set­zen, bedeu­tet dann gera­de nicht, eine gemein­schaft­li­che Fei­er könn­te pri­va­te Vor­lie­ben und Stim­mun­gen der Betei­lig­ten ein­fach­hin ›bedie­nen‹. Viel­mehr geht es um »die ursprüng­li­che Unver­füg­bar­keit des­sen, was uns da ›ein­stimmt‹«, und von daher dar­um, inwie­fern Lit­ur­gie »die Erfah­rung ver­mit­telt, dass wir von wei­ter her sind, als es die Anfän­ge sind, die wir selbst set­zen kön­nen«; aber eben die­se Erfah­rung muss zur je mei­ni­gen wer­den kön­nen.11 Authen­tisch in die­sem Sin­ne ist Lit­ur­gie inso­fern dann, wenn sie indi­vi­du­el­les »Betei­ligt­sein am Welt-Ent­zo­ge­nen« und der eige­nen Selbst-Ent­zo­gen­heit ermög­licht, Betei­ligt­sein, das aus Über­zeu­gung ange­nom­men und über­nom­men wird: »Hier ist – wenn es gut geht: auf wohl­tu­en­de Wei­se – zu erle­ben, das ich von ›wei­ter her‹ kom­me als von mir selbst, dass ich immer schon mit­tue, wovon ich nicht der Ursprung bin, aber wohin­ein ich mich ein­stim­men kann, kri­tisch ein­stim­me oder mich ent­zie­he, wenn es mich nicht berührt.«
Die The­ma­tik wech­sel­sei­ti­ger lit­ur­gi­scher Gast­freund­schaft hin­sicht­lich der Fei­er von Abend­mahl bzw. Eucha­ris­tie ist von daher grund­sätz­lich so anzu­ge­hen, dass den ekkle­sia­len Begrün­dungs­stra­te­gien, die eher für Zurück­hal­tung oder gar Ver­wei­ge­rung spre­chen, der Zugang vom Indi­vi­du­um und der Lebens­welt her min­des­tens an die Sei­te zu stel­len ist. Eva- Maria Faber hat dies­be­züg­lich schon vor Län­ge­rem fest­ge­hal­ten: Ekkle­si­al gese­hen sei das Kri­te­ri­um trag­fä­hig, dass Kir­chen­ge­mein­schaft und Eucha­ris­tie­ge­mein­schaft zusam­men­ge­hö­ren, inso­fern die gegen­sei­ti­ge Ein­la­dung gan­zer Gemein­den, gene­rel­le Inter­kom­mu­ni­on oder Inter­ze­le­bra­ti­on fokus­siert wer­de; »[d]och gibt es Gren­zen die­ser ekkle­sia­len Betrach­tungs­wei­se, die durch eine legi­ti­me, am Men­schen als Indi­vi­du­um ori­en­tier­te Betrach­tungs­wei­se zu ergän­zen ist. Die spe­zi­fi­sche Situa­ti­on von ein­zel­nen Men­schen kann nicht schlecht­hin mit der ekkle­sia­len Situa­ti­on zwi­schen den Kir­chen in eins geschaut wer­den. Die Wahr­neh­mung christ­li­cher Exis­tenz ein­sei­tig unter dem Aspekt der Kirch­lich­keit ver­kennt die Wür­de der ein­zel­nen Per­son, die als sol­che von Gott gemeint und beru­fen ist und vor Gott als dem Geheim­nis des unver­wech­sel­bar eige­nen Lebens steht.«12 Die in der Tau­fe gestif­te­te, beson­ders qua­li­fi­zier­te Got­tes- und Chris­tus­be­zie­hung eröff­net »einen unan­tast­ba­ren Bereich der je per­sön­li­chen Heils­si­tua­ti­on, der zwar in ekkle­sia­le Zusam­men­hän­ge ein­ge­bun­den ist, dar­in jedoch nicht gänz­lich auf­geht und im Letz­ten dem Zugriff ekkle­sia­ler Bewer­tung und Regle­men­tie­rung ent­ho­ben ist.«
Das Votum »Gemein­sam am Tisch des Herrn« lässt sich von die­sen Grund­satz­über­le­gun­gen her jetzt so ein­ord­nen, dass es kon­se­quent modern im ange­deu­te­ten Sin­ne und auf Basis der zuletzt skiz­zier­ten theo­lo­gi­schen Linie argu­men­tiert. Es trägt v. a. die Erkennt­nis­se theo­lo­gi­sch­wis­sen­schaft­li­cher Arbeit der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te aus der Per­spek­ti­ve ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen (Bibel­wis­sen­schaf­ten, Kir­chen­ge­schich­te, Dog­ma­tik, Lit­ur­gie­wis­sen­schaft etc.) zusam­men, greift ein­schlä­gi­ge kir­chen­of­fi­zi­el­le Posi­ti­ons­be­stim­mun­gen auf, um auf der damit ins Bewusst­sein geru­fe­nen Basis ein »Votum für eine Öff­nung der kon­fes­sio­nel­len Mahl­fei­ern für Chris­tin­nen und Chris­ten aus ande­ren Tra­di­tio­nen« (S. 3) zu for­mu­lie­ren. Anders gesagt: Es geht dem Votum inner­halb der aktu­ell gege­be­nen Rah­men­be­din­gun­gen dezi­diert nicht dar­um, für kon­fes­si­ons­über­grei­fen­de Fei­ern der Eucharistie/des Abend­mahls zu plä­die­ren, die weit­ge­hends­te Authen­ti­zi­tät im Sin­ne von (Aut1) anstre­ben bzw. behaup­ten. Viel­mehr wird kon­sta­tiert, dass der Stand des Dia­logs zwi­schen den betref­fen­den Kir­chen ins­ge­samt – Ebe­ne (Aut1) – hin­sicht­lich ent­schei­den­der Aspek­te so weit vor­an­ge­schrit­ten ist, dass einer Ein­la­dung von ein­zel­nen Gläu­bi­gen zur Mit­fei­er einer kon­kre­ten, kon­fes­sio­nell getra­ge­nen Lit­ur­gie – Ebe­ne (Aut2) – prin­zi­pi­ell Nichts ent­ge­gen­steht; ent­schei­den­des Kri­te­ri­um ist aus die­ser Sicht, ob die/der Ein­zel­ne sich zu einer sol­chen Fei­er ein­ge­la­den fühlt und an ihr authen­tisch im Sin­ne von (Aut3) teil­neh­men kann. Etwa bei den Ein­la­dun­gen zur Teil­nah­me an der Lit­ur­gie einer ande­ren Kon­fes­si­on am Sams­tag­abend des 3. Öku­me­ni­schen Kir­chen­ta­ges – wie auch immer die­se Ein­la­dung kir­chen­of­fi­zi­ell jeweils for­mu­liert bzw. indi­vi­du­ell rezi­piert wor­den ist – wur­de das Zusam­men­spiel die­ser drei Ebe­nen so geför­dert, dass die Ver­ant­wort­li­chen im Blick auf die Ebe­ne (Aut2) eine Arbeits­hil­fe mit Hin­wei­sen zur öku­me­nisch sen­si­blen Gestal­tung der Fei­ern zur Ver­fü­gung gestellt haben.13 Das Ant­wort­schrei­ben des ÖAK auf die »Lehrmäßige[n] Anmer­kun­gen « der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zu »Gemein­sam am Tisch des Herrn« bringt die skiz­zier­ten Zusam­men­hän­ge poin­tiert so auf den Punkt:

»Der ÖAK hat bei sei­nem Votum [»Gemein­sam am Tisch des Herrn«; B. K./S. W.] im Blick, dass es noch kei­ne umfas­sen­de evan­ge­li­sch/­rö­misch-katho­li­sche Kir­chen­ge­mein­schaft gibt, die die Vor­aus­set­zung für eine umfas­sen­de eucha­ris­ti­sche Gemein­schaft ist. Zugleich wird in bei­den Tra­di­tio­nen die Über­zeu­gung ver­tre­ten, dass die Teil­ha­be an der Fei­er von Abend­mahl und Eucha­ris­tie von Ein­zel­nen aus jeweils ande­ren Kon­fes­sio­nen auch ein Weg zur Ver­tie­fung der Suche nach umfas­sen­der Ein­heit ist. Die­ser Weg ist ein Bei­trag zur Suche nach einer Ver­dich­tung des gemein­sa­men Glau­bens­le­bens und auf dem Weg zur sicht­ba­ren Einheit.
[…]
Mit sei­nem Votum gibt der ÖAK eine theo­lo­gisch fun­dier­te Begrün­dung für die Ent­schei­dungs­fin­dung [der ein­zel­nen Gläu­bi­gen; B. K./S. W.]: Chris­tin­nen und Chris­ten, die im sakra­men­ta­len Band der Tau­fe mit­ein­an­der geist­lich ver­bun­den sind, kön­nen, zumal bei beson­de­ren Anläs­sen, an den Fei­ern von Abend­mahl und Eucha­ris­tie der je ande­ren Kon­fes­si­on im Ver­trau­en auf die Gegen­wart Jesu Chris­ti teil­neh­men. Sie erfah­ren sich als Getauf­te dazu ein­ge­la­den. Sie kön­nen gewiss sein, dass auch in der jeweils ande­ren Feier­form die Ver­hei­ßung der Gegen­wart Jesu Chris­ti gilt. Durch die erleb­te Gemein­schaft ver­tieft sich der Wunsch nach umfas­sen­der, sicht­ba­rer Ein­heit. So stärkt das Votum des ÖAK die glau­ben­den Indi­vi­du­en in einem wei­ten ekkle­sia­len Hori­zont.«14

Die ein­zel­nen Bei­trä­ge des vor­lie­gen­den Hef­tes beleuch­ten nun mit einem gewis­sen Abstand zum Erschei­nen des Papiers und unter Berück­sich­ti­gung der Dis­kus­sio­nen, die sich seit­her ent­wi­ckelt haben, auf ihre je eige­ne Wei­se und aus drei ver­schie­de­nen (auch) kon­fes­sio­nell gepräg­ten Per­spek­ti­ven, wie der vom Votum des ÖAK gewähl­te Ansatz kano­nis­tisch und (liturgie)theologisch ein­zu­ord­nen bzw. zu beur­tei­len ist. Die Kir­chen­recht­le­rin Judith Hahn, Bochum, befasst sich mit »Gewis­sens­ent­schei­dun­gen in der Lit­ur­gie« und fragt u. a., ob nicht im Lit­ur­gie­recht mehr Frei­heit und stär­ker die Mög­lich­keit zum eige­nen Gewis­sens­ent­scheid ein­zu­räu­men sei­en. Theo Die­ter, evan­ge­li­scher Öku­me­ni­ker und bis 2018 Direk­tor des Insti­tuts für Öku­me­ni­sche For­schung, Straß­burg, unter­zieht das ÖAK-Papier unter der Über­schrift »Offe­ne Kom­mu­ni­on beim Her­ren­mahl« einer klein­tei­li­gen Ana­ly­se. Er argu­men­tiert für eine mög­li­che Teil­nah­me katho­li­scher Chris­ten am evan­ge­li­schen Abend­mahl, kri­ti­siert aber in sei­ner kri­ti­schen Lek­tü­re u. a., dass vom eucha­ris­ti­schen Glau­ben, der von den Fei­ern­den erwar­tet wer­de, nicht die Rede sei, wirft die Fra­ge nach Zulas­sungs­kri­te­ri­en von Chris­tus her auf und dis­ku­tiert das Ver­hält­nis von opus Dei und opus homi­nis. Kim­ber­ly Hope Bel­cher, Pro­fes­so­rin für Lit­ur­gie­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­ty of Not­re Dame, beschreibt die spe­zi­fi­sche Situa­ti­on der Öku­me­ne in den USA und liest das ÖAK-Votum aus die­ser Per­spek­ti­ve. Sie ver­tritt die The­se, Viel­falt in gegen­sei­ti­gem Respekt und nicht Homo­ge­ni­tät mache die Ein­heit eines Lei­bes aus, in dem zwar die Glie­der ver­schie­den sei­en, aber jedes Glied sei­ne Auf­ga­be habe.

1 Vgl. Gemein­sam am Tisch des Herrn / Tog­e­ther at the Lord’s table. Ein Votum des Öku­me­ni­schen Arbeits­krei­ses evan­ge­li­scher und katho­li­scher Theo­lo­gen / A state­ment of the Ecu­me­ni­cal Stu­dy Group of Pro­tes­tant and Catho­lic Theo­lo­gi­ans (Dia­log der Kir­chen 17), hg. v. Vol­ker Lep­pin / Doro­thea Satt­ler, Freiburg/Br. [u. a.] 2020.
2 Um nur eini­ge der wich­tigs­ten offiziellen/offiziösen Reak­tio­nen zu nen­nen: Nach Ver­öf­fent­li­chung des Votums hat sich bereits am 28.2.2020 der Rat der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land sehr posi­tiv dazu geäu­ßert (die Stel­lung­nah­me ist online zugäng­lich unter https://www. ekd.de/ekd_de/ds_doc/200228_Stellungnahme_Rat_der_EKD_Gemeinsam_am_Tisch_des_ Herrn.pdf). In einem auf den 18.9.2020 datier­ten Schrei­ben an den Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz Bischof Georg Bät­zing und ange­häng­ten »Lehrmäßige[n] Anmer­kun­gen « hat sich hin­ge­gen der Prä­fekt der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Luis Kar­di­nal Ladar­ia Fer­rer S. J. bezüg­lich grund­le­gen­der Aspek­te deut­lich kri­tisch posi­tio­niert (online zugäng­lich unter https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2020/2020-09-18_ Kard.-Ladaria_Lettera-Vorsitzender-DBK.PDF bzw. https://www.dbk.de/fileadmin/redak tion/diverse_downloads/dossiers_2020/2020-09-18_Kard.-Ladaria_Lettera_Anlage-Vorsit zender-DBK.PDF). Mit Datum vom 6.10.2020 hat dann wie­der­um der Kon­takt­ge­sprächs­kreis römisch-katho­li­scher und evan­ge­li­scher Kir­chen­lei­tun­gen das Votum grund­sätz­lich posi­tiv gewür­digt (zugäng­lich unter https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/ presse_2020/2020-160a-Wuerdigung-Kontaktgespraechskreis-zum-Votum-des-OEAK.pdf). Auf die Kri­tik der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on hat der ÖAK sei­ner­seits am 6.1.2021 mit einer Stel­lung­nah­me reagiert (online zugäng­lich: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/ fb2/zentraleseiten/aktuelles/stellungnahme.oakzula.6.1.2021.pdf). Wei­te­re Ein­las­sun­gen zur Sache u. a. durch den Lei­ter des vati­ka­ni­schen Ein­heits-Rates Kurt Kar­di­nal Koch und des evan­ge­li­schen wis­sen­schaft­li­chen Lei­ters des ÖAK Vol­ker Lep­pin sind zu nen­nen (vgl. z. B. online https://www.domradio.de/themen/%C3%B6kumene/2021-02-09/diskrepanz-zwischenwunsch- und-wirk­lich­keit-kar­di­nal-koch-reagiert-mit-offe­nem-brief-auf-lep­pin). – Die bis­he­ri­ge Rezep­ti­ons­ge­schich­te lässt sich ansons­ten z. B. gut nach­voll­zie­hen anhand der pro­mi­nent besetz­ten Gesprächs­run­de, die anläss­lich des 3. Öku­me­ni­schen Kir­chen­ta­ges das Bis­tum Trier in Koope­ra­ti­on mit dem Öku­me­ni­schen Insti­tut für inter­re­li­giö­sen Dia­log am 14.5.2021 an der Uni­ver­si­tät Trier ver­an­stal­tet hat. Das ent­spre­chen­de Video ist abruf­bar unter https://www.youtube. com/watch?v=fVvNzF2rWUY (für die­sen wie alle Links in die­ser Fn. letz­ter Auf­ruf: 22.7.2021, auch für die instruk­ti­ve Zusam­men­fas­sung unter https://news.ekir.de/meldungen/2021/05/ das-abend­mahl-und-der-mut-zur-gren­zu­e­ber­schrei­tun­g/).
3 Vgl. Ste­phan Win­ter, »… seid nicht gleich­för­mig …« (Röm 12,2). Das Wider­stän­di­ge der Lit­ur­gie als Quel­le christ­li­cher Spi­ri­tua­li­tät, in: LJ 67 (2017), 139–159, v. a. 143–146 (dort in kri­ti­schem Anschluss an einen Vor­schlag Win­fried Haunerlands).
4 Jür­gen Wer­bick, Volks-Fröm­mig­keit?, in: WuA 2/2014, 79–85, hier zit. nach der Online-Aus­ga­be (dort o. Sei­ten­zah­len): https://www.wort-und-antwort.de/inhalte.php?jahrgang=2014&ausgab e=2&artikel=5 (letz­ter Auf­ruf: 23.7.2021); dort auch die nächs­ten Zita­te. – Wer­bick for­mu­liert aller­dings im Blick auf das, was er unter Volks­fröm­mig­keit ver­steht; der Sache nach geht es aber um den hier gemein­ten Zusammenhang.
5 Vgl. Imel­da Rohr­ba­cher, Authen­ti­zi­tät als Dis­kurs­fi­gur. Etap­pen der Begriffs­ge­schich­te, in: Authen­ti­zi­tät – Mode­wort, Leit­bild, Kon­zept. Theo­lo­gi­sche und human­wis­sen­schaft­li­che Erkun­dun­gen zu einer schil­lern­den Kate­go­rie, hg. von Ans­gar Kreut­zer / Chris­toph Nie­mand (SKUL Bd. 1), Regens­burg 2016, 29–41, 40, bzw. den gesam­ten Bei­trag für eine dia­chro­ne Durch­sicht wich­ti­ger Bedeu­tun­gen der Authentizitätskategorie.
6 Isol­de Cha­rim, Ich und die Ande­ren. Wie die neue Plu­ra­li­sie­rung uns alle ver­än­dert, Wien 2018, 61 f. – Vgl. zu die­ser The­ma­tik auch aus sozio­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve Andre­as Reck­witz, Die Gesell­schaft der Sin­gu­la­ri­tä­ten. Zum Struk­tur­wan­del der Moder­ne, Ber­lin 2017. 7 Cha­rim, Ich und die Ande­ren (wie Anm. 6), 67 f.
8 Chris­toph Nie­mand, Was Authen­ti­zi­tät sei und wozu Authen­ti­zi­täts­dis­kur­se gut sein kön­nen, in: Kreut­zer / Nie­mand, Authen­ti­zi­tät (wie Anm. 5), 373–382, 373 f. – So gese­hen ist Authen­ti­zi­tät als Merk­mal gelun­ge­ner Selbst­ver­wirk­li­chung vor­mo­dern nicht zu kon­zep­tio­nie­ren, wie u. a. Charles Tay­lor plau­si­bel gemacht hat.
9 Die­ses und die nächs­ten Zita­te: Tho­mas M. Schmidt, Auto­no­mie und Ver­bind­lich­keit. Para­do­xien der Moder­ne, in: Das auto­no­me Sub­jekt? Eine Denk­form in Bedräng­nis (ratio fidei 54), hg. v. Klaus Vier­bau­er / Rein­hard Köger­ler, Regens­burg 2014, 81–93, 81.82. – Vgl. auch: Magnus Striet, Authen­ti­zi­tät. Kri­ti­sche Bemer­kun­gen zu einem Mus­ter­be­griff ›der‹ Moder­ne. Arbeits­pa­pier zum Fach­ge­spräch Theo­lo­gie und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Erfurt 11./12.2013 (unver­öf­fentl.), bes. 5. Striet zeigt, wie sich der »Gott des Exo­dus-Gedächt­nis­ses« als Quel­le der Span­nung von Auto­no­mie und Authen­ti­zi­tät ver­ste­hen lässt.
10 Vgl. dazu jetzt auch die Bei­trä­ge in Der Glau­bens­sinn der Gläu­bi­gen als Ort theo­lo­gi­scher Erkennt­nis. Prak­ti­sche und sys­te­ma­ti­sche Theo­lo­gie im Gespräch (QD 312), hg. v. Agnes Slu­nit­schek / Tho­mas Bre­mer, Freiburg/Br. [u. a.] 2020.
11 Vgl. dazu auch das Kon­zept, das ent­wi­ckelt wird in Andre­as Oden­thal, Ritu­el­le Erfah­rung. Prak­tisch- theo­lo­gi­sche Kon­tu­ren des christ­li­chen Got­tes­diens­tes (PTH 161), Stutt­gart, 2019, bes. 13–25.187–197.
12 Die­ses und das nächs­te Zitat: Eva-Maria Faber, Damit die Vie­len leben kön­nen. Die eine Eucha­ris­tie – in vie­len Orts­ge­mein­schaf­ten – Nah­rung auf per­sön­li­chen Wegen, in: Leib Chris­ti sein – fei­ern – wer­den. Ort und Gestalt der Eucha­ris­tie­fei­er in der Pfar­rei, hg. v. Mar­tin Klö­cke­ner / Peter Spich­tig, Freiburg/Schweiz 2006, 94–108, 96 f.
13 Vgl. dazu https://www.oekt.de/feiern/konfessionelle-gottesdienste und dort auch die Links zu den ent­spre­chen­den Materialien.
14 ÖAK, Stel­lung­nah­me (wie Anm. 2), 2 f.

 

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