»Befiehl du deine Wege« (GL 418)
Worte von Paul Gerhardt 1653; Melodie von Bartholomäus Gesius 1603 und Georg Philipp Telemann 1730
Liedportrait von Meinrad Walter
Paul Gerhardt (1607–1676) ist im Gotteslob mit sieben Liedern vertreten. „Befiehl du deine Wege“ ist einer der bekanntesten protestantischen Choräle. Die erste Strophe ist überdies kirchenmusikalisch „geadelt“, weil sie in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion (1727) erklingt. Zu den weiteren Vertonungen dieses Vertrauensliedes zählt eine große Liedmotette mit allen 12 Strophen, komponiert von Bachs Schwiegersohn Johann Christoph Altnickol (1720–1759).
Der evangelische Pfarrer und Liederdichter Gerhardt schmückt dieses Lied poetisch mit einer Besonderheit, die „Akrostichon“ genannt wird und uns auch in den Psalmen begegnet. Reiht man die Anfangsworte jeder Strophe aneinander, so ergibt sich der Bibelvers „Befiehl dem Herren dein Weg und hoff auf ihn, er wird’s wohl machen“ (Psalm 37,5). Das Gebet- und Gesangbuch Gotteslob beschränkt sich auf die ersten vier Strophen und den Schlussvers „Mach End, o Herr, mach Ende mit aller meiner Not“.
Im Hintergrund des Liedes steht eine bestimmte Facette der damaligen lutherischen Theologie, nämlich die Lehre von der göttlichen Vorsehung (providentia). Weil Gott alle menschlichen Wege kennt und sich um sie sorgt, dürfen wir ihm alles vertrauensvoll „anbefehlen“ – so wie auch Jesus zum Vater gebetet hat: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lukas 23,46). Die Wege des Lebens und Glaubens werden in diesem Lied poetisch abgeschritten – vom ersten Schritt bis zum ewigen Ziel in der letzten Strophe: „… so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein“. Die singenden Beter führen dazu Monologe mit sich selbst (Strophen 1 und 2) und Dialoge mit Gott (Strophen 3 bis 5).
Die erste Strophe ordnet den eigenen Lebensweg in die großen kosmischen Bahnen ein, um daraus – auch in Zeiten der Umwege und Irrwege – Trost zu schöpfen. Dass Gott alle irdischen Wege lenkt, wird in der Betrachtung der himmlischen Wege der Gestirne, ja sogar der Wolken plausibel. So spiegeln sich die unendlichen Bahnen des Makrokosmos gleichsam im Mikrokosmos meiner persönlichen, bisweilen engen Pfade. Wie so oft nimmt Paul Gerhardt die Phänomene der Natur als Anknüpfungspunkt seiner theologischen Gedanken. Denken wir nur an das bekannte Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“.
Die zweite Strophe intensiviert die gewonnene Einsicht im Blick auf Bitte und Vertrauen. Der allmächtige Gott „lässt sich gar nichts nehmen“ – aber er lässt sich bitten! Und eben dies befreit den Menschen vom Zwang der Selbsterlösung, entlastet ihn von „Sorgen“ und „Grämen“. Auf das Schöpfungsthema der zweiten Strophe folgt in der dritten die Thematik der „Erhaltung“. Der ewige Vatergott liebt sein irdisches „Werk“ so sehr, dass er es Tag für Tag umsorgt und am Leben erhält. In Paul Gerhards Sprache: Er bringt es zum „Stand und Wesen“.
In der vierten Strophe kehrt das anfängliche Motiv des „Weges“ wieder. Nun aber ist es der göttliche Weg, den Paul Gerhardt mit der poetischen Figur „Weg hast du allerwegen“ besingt. Worte wie „allzeit“ oder „allerorten“ sind heute noch geläufig, kaum aber Gerhardts „allerwegen“. Was meint er damit? Gottes Wege sind nicht nur unbeschränkt, sie bringen „lauter Segen“ und „lauter Licht“ – das Adjektiv „lauter“ meint hier hell und zugewandt, wie wir das noch vom Wort „Lauterkeit“ kennen. Das Bild vom fürsorglichen „Vater“ und den „Kindern“ verbindet die dritte mit der vierten Strophe.
Die letzte Strophe vereint Lebenskunst und Sterbekunst. Alle irdischen Wege sind Schritte in Richtung des letzten Ganges, bei dem die leibliche und geistliche Stärkung am wichtigsten ist: „Stärk unsre Füß und Hände …“. Das Ziel ist der Himmel. Und an diese Gewissheit will dieses Lied erinnern.