»Das Jahr steht auf der Höhe«
(GL 465)

Wor­te: Det­lev Block; Musik: Johann Steurlein

 

Lied­por­trait von Mein­rad Walter

Tag und Stun­de, Woche, Monat und Jahr … Wer die Zeit bedenkt, steht plötz­lich vor dem Rät­sel der Ewig­keit. Wenn wir das Jahr besin­gen, kom­men zumeist Anfang und Ende in den Blick mit Lie­dern wie »Der du die Zeit in Hän­den hast« oder »Das alte Jahr ver­gan­gen ist«. Die­ses Lied singt von der Mit­te des Jahres.

»Wel­chen Trost, wel­che Ermu­ti­gung gibt es für uns, wenn der Schat­ten des Wech­sels und der Ver­gäng­lich­keit auf uns fällt?« So beschreibt der Autor Det­lev Block sei­ne Moti­va­ti­on zu die­sem »Mitt­som­mer­lied«, das 1978 ent­stan­den ist. Im Hin­ter­grund steht die bibli­sche Bot­schaft des Johan­nes­ta­ges am 24. Juni: »Er muss wach­sen, ich aber muss abneh­men« (Johan­nes 3,30). Aber auch Psalm 102 »Raff mich nicht weg in der Mit­te des Lebens« (Psalm 102,25) klingt an. Denn so wie die Tage nach der Jah­res­mit­te wie­der kür­zer wer­den, so neh­men auch die Lebens­ta­ge bestän­dig ab. Ja, sie zer­rin­nen uns unter den Hän­den. Allein »Got­tes Jah­re« sind der Zeit ent­ho­ben: »Vor Zei­ten hast du der Erde Grund gelegt, die Him­mel sind das Werk dei­ner Hän­de. Sie wer­den ver­ge­hen, du aber bleibst; sie alle zer­fal­len wie ein Gewand; du wech­selst sie wie ein Kleid und sie schwin­den dahin. Du aber bleibst, der du bist, und dei­ne Jah­re enden nie« (Psalm 102,26–28).

Um die Mit­te des Jah­res dreht sich die ers­te Stro­phe. Doch die »gro­ße Waa­ge« – die­ses som­mer­li­che Stern­bild ver­steht der Hob­by-Astro­nom Det­lev Block als »Sinn­bild für das Abmes­sen und Zeit­ge­wäh­ren durch den Schöp­fer und sei­ne gro­ße Schöp­fung« –, sie ruht nur schein­bar! Schließ­lich ist das christ­li­che Zeit­ver­ständ­nis kein Kreis und kei­ne Wie­der­ho­lung des Immer­glei­chen, son­dern ein »Wach­sen auf dich hin«. In der zwei­ten Stro­phe klingt eine berühm­te bibli­sche Ein­sicht aus dem Alten Tes­ta­ment an: »Alles hat sei­ne Zeit« (Kohe­let). Die drit­te Stro­phe dann bedenkt den Abschied und den Gegen­satz von ver­gäng­lich und unver­gäng­lich. Weil Gott sel­ber das Ziel von allem ist, öff­net sich ein Hori­zont der Voll­endung hin­ter dem irdi­schen Ende.

Das stärks­te Wort steht ganz am Schluss: »… dass jeder zu dir fin­det und durch dich auf­er­steht«. Zwi­schen Zeit und Ewig­keit wal­tet nicht nur ein unver­söhn­li­cher Gegen­satz. Da steht auch eine Brü­cke. Gemeint ist das Chris­tus-Ereig­nis der Auf­er­ste­hung. In einer frü­hen Fas­sung hieß es hier »und zu dir auf­er­steht«. Die­se Zei­le hat der Autor im Jahr 2012 geän­dert, um noch deut­li­cher zu zei­gen, dass die Voll­endung kein vom Men­schen gemach­tes Werk ist, son­dern das Geschenk der Teil­ha­be an der Auf­er­ste­hung Christi.

Det­lev Block (geb. 1934) hat über 30 Jah­re als Stadt­pfar­rer und Seel­sor­ger für Kur­gäs­te in Bad Pymont gewirkt. Er ist Autor zahl­rei­cher Bücher, Gedich­te und Lie­der. Mehr als 50 Kom­po­nis­ten haben sich inzwi­schen mit sei­nen Tex­ten befasst. Bei die­sem Lied jedoch wur­de gleich zu Beginn die alte Melo­die von Johann Steur­lein (1546–1613) »ton­an­ge­bend und moti­vie­rend«. Man kennt sie vom welt­li­chen Chor­satz »Mit Lieb bin ich umfan­gen« oder vom geist­li­chen Lied »Wie lieb­lich ist der Mai­en«, das im Evan­ge­li­schen Gesang­buch steht – oder auch von Det­lev Blocks Som­mer­lied »Nun steht in Laub und Blü­te«. Der Kom­po­nist Steur­lein hat nach sei­ner Aus­bil­dung in Mag­de­burg, Jena und Wit­ten­berg als Stadt­schrei­ber, Notar und Kanz­lei­se­kre­tär gewirkt, vor allem ab 1589 bis zu sei­nem Lebens­en­de in Mei­nin­gen. Zahl­rei­che Gedich­te und Melo­dien stam­men aus sei­ner Feder. Sei­ne alte Melo­die aus dem Jahr 1575 bringt das neue Lied bes­tens zur Gel­tung: mit dem anfäng­li­chen Schwung und dem Sich-Ein­pen­deln auf dem Grund­ton vor dem Wie­der­ho­lungs­zei­chen bei »ruht«; auch mit der Span­nung zwi­schen dem offe­nen Halb­schluss des fünft­letz­ten Tak­tes und dem Ganz­schluss am Ende, die jeweils eine stim­mi­ge Ent­spre­chung im Text von Det­lev Block findet.

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