160„Wir haben ausprobiert …“

Tagzeitenliturgien in der Gemeinde zu etablieren, ist mit Herausforderungen verbunden. Wie es gelingen kann, Hürden zu überwinden, zeigt das folgende Beispiel.

 

Es ist Anfang Juni. Die Abend­son­ne fällt durch die far­bi­gen Kir­chen­fens­ter auf die Sta­tue des hei­li­gen Boni­fa­ti­us, des­sen wir heu­te in unse­rem Abend­lob geden­ken. Eine Gemein­schaft von zwölf Mit­fei­ern­den hat sich ein­ge­fun­den; eini­ge aus dem Dorf, ein­zel­ne aus Nach­bar­or­ten. Um 20 Uhr erhe­ben wir uns und neh­men das Falt­blatt zur Hand: „O Gott, komm mir zu Hil­fe.“ Nach dem Hym­nus set­zen wir uns, um zuzu­hö­ren, und die Kan­to­rin stimmt den Kehr­vers des Psalms an. Die­ser betrach­ten­de Teil schließt mit dem Psalm­ge­bet ab. Die Lek­to­rin trägt am Ambo die Lesung vor. Dann Stil­le – wohl­tu­end nach einem lan­gen Tag und Raum für Got­tes Wort. Auf die Ver­kün­di­gung ant­wor­ten wir vor Gott ste­hend mit dem Magni­fi­cat, dem Lob­ge­sang Mari­ens. Die Kan­to­rin beginnt, und wir sin­gen die Ver­se im Wech­sel. Die Lek­to­rin liest die Gebets­an­lie­gen der Für­bit­ten, und wir als Gemein­schaft tra­gen das Gebet durch unse­ren Für­bitt­ruf. Der Gebets­teil mün­det in das Vater­un­ser und die Ora­ti­on vom Hoch­fest des hei­li­gen Boni­fa­ti­us. „Der Herr seg­ne uns.“ Nach der Segens­bit­te schließt das Abend­lob mit einem Bonifatiuslied.

Eini­ge gehen nach die­ser knap­pen hal­ben Stun­de des Gebets, ande­re set­zen sich und las­sen die Zeit nach­klin­gen, bevor sie in den Abend und in den All­tag zurück­keh­ren. Die Abend­son­ne ist nun wei­ter­ge­wan­dert und die Sta­tue steht unauf­fäl­lig auf ihrem Podest.

So oder ähn­lich fei­ern wir monat­lich in unse­rem Pfarr­ver­bund gemein­sam Abend­lob, das Tag­zei­ten­ge­bet als Lit­ur­gie der Gemein­de, und fül­len unse­re Kir­chen mit Gebet und Gesang. Die­se Gebets­zeit hat sich in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren lang­sam ent­wi­ckelt. Wir haben aus­pro­biert, Erfah­run­gen gesam­melt und immer wie­der Ver­än­de­run­gen vor­ge­nom­men, wie nach­fol­gend beschrie­ben wird.

Im Som­mer 2014 rief das Kir­chen­mu­sik­in­sti­tut des Bis­tums Ful­da auf, im Rah­men der Kir­chen­mu­sik­ta­ge Anfang Okto­ber in den Gemein­den Tag­zei­ten­lit­ur­gie, gesun­ge­nes Mor­gen­lob und Abend­lob, zu fei­ern. Dazu bot es zwei Vor­la­gen mit Aus­wahl­ele­men­ten an. In die­ser Sache woll­te ich mich als Kan­to­rin im lit­ur­gi­schen Dienst ger­ne enga­gie­ren und bekam Unter­stüt­zung durch Mit­glie­der des Lit­ur­gie­krei­ses, die bereit waren, Diens­te zu über­neh­men, und vom Pfar­rer, der zur Gestal­tung des Gemein­de­zet­tels die myst­ago­gi­schen Erschlie­ßun­gen, die aus dem „Bon­ner Mit­tags­ge­bet“ stamm­ten, beisteuerte.

Der Ablauf des Abend­lobs wur­de vor­be­rei­tet, ein Gemein­de­zet­tel erstellt und die lit­ur­gi­schen Rol­len auf­ge­teilt: Eine Lek­to­rin ver­kün­de­te die Lesung, eine Spre­che­rin las die Gebets­an­lie­gen der Für­bit­ten, eine wei­te­re die Erschlie­ßun­gen, und ich über­nahm die Lei­tung und die respon­so­ria­le Gestal­tung des Psalms. Auf eine Beglei­tung der Gesän­ge durch die Orgel oder ande­re Instru­men­te wur­de bewusst ver­zich­tet, um den Auf­wand ein­zu­gren­zen. Die Gebets­zeit wur­de im Pfarr­brief, am Ende der Sonn­tags­mes­se und auf Pla­ka­ten angekündigt.

So fan­den sich an einem Don­ners­tag­abend im Okto­ber knapp 30 Gemein­de­mit­glie­der in der klei­nen Turm­ka­pel­le ein und bete­ten bei Ker­zen­licht gemein­sam das Abend­lob. Die Reak­tio­nen waren posi­tiv: eine hal­be Stun­de zum „Run­ter­kom­men“, die schö­ne Atmo­sphä­re in der Kapel­le, anspre­chen­de Tex­te, nur der Psalm usw. Das alles war gewöh­nungs­be­dürf­tig, aber trotz­dem ent­schie­den wir: Das kön­nen wir wie­der machen!

Es folg­ten wei­te­re Tag­zei­ten­ge­be­te, und bald wur­de klar, dass die­ses „Bau­kas­ten­sys­tem“ vie­le Mög­lich­kei­ten für die kon­kre­te Aus­ge­stal­tung vor Ort bie­tet und damit gut auf die Fei­er­ge­mein­de abzu­stim­men ist: Als Hym­nus kann ein tra­di­tio­nel­les Lob­lied ver­wen­det wer­den, aber auch ein Neu­es Geist­li­ches Lied; der Psalm ist respon­so­ri­al, anti­pho­nal, als Psalm­lied oder als Tai­zé-Gesang gestalt­bar; die Für­bit­ten kön­nen ein gemein­sa­mes Gebet sein, Gebets­an­lie­gen mit Für­bitt­ruf oder ein Andachts­ab­schnitt aus dem „Got­tes­lob“; das Vater­un­ser kann in ver­schie­de­nen Fas­sun­gen gesun­gen oder gespro­chen werden.

Jedes Abend­lob wur­de aus der Fül­le der Mate­ria­li­en ein­zeln vor­be­rei­tet, und aus den Erfah­run­gen erwuch­sen immer wie­der orga­ni­sa­to­ri­sche Veränderungen:

  • Das Gebet fin­det nun ein­mal im Monat, oft mon­tags, in einer Kir­che des Pfarr­ver­bun­des statt. Ter­min und Ort wer­den auf der Home­page, im Pfarr­brief und im Aus­hang veröffentlicht.
  • Die Erläu­te­run­gen wer­den nur gele­gent­lich abge­druckt und nicht mehr laut gele­sen, um wie­der­holt Mit­be­ten­de nicht zu langweilen.
  • Eine zwei­te Kan­to­rin kommt dazu, sodass wir den Psalm und ande­re Gesän­ge gut im Wech­sel sin­gen kön­nen, da die Gemein­de immer von einer siche­ren Sän­ge­rin gestützt wird.
  • An ein­zel­nen Ter­mi­nen ist es mög­lich, dass ein Orga­nist den Gesang beglei­tet oder auch eine Grup­pe mit Flö­te, Gitar­re und Klavier.
  • Zei­chen­hand­lun­gen wie Luzer­nar, Weih­rauchspen­de, Pro­zes­si­on oder Tauf­ge­dächt­nis wer­den gele­gent­lich in die Lit­ur­gie eingefügt.

Trotz die­ser erfreu­li­chen Ent­wick­lung blie­ben offe­ne Fra­gen: Wie kann die Vor­be­rei­tung ver­ein­facht wer­den? Wie kön­nen die Erklä­run­gen zu den ein­zel­nen Ele­men­ten für alle zugäng­lich, aber nicht auf­dring­lich ein­ge­bracht wer­den? Mit wel­chen Hil­fen kann den Mit­fei­ern­den ohne Vor­er­fah­rung ermög­licht wer­den, aktiv teil­zu­neh­men? Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen bie­ten die Mate­ria­li­en vom Ver­ein „Öku­me­ni­sches Stun­den­ge­bet“ (www.oekumenisches-stundengebet.de), der sich für die För­de­rung von Stun­den­ge­bets­in­itia­ti­ven in Gemein­den ein­setzt. Auf einem Stu­di­en­wo­chen­en­de von LITURGIE IM FERNKURS im Febru­ar 2019 wur­den die­se vor­ge­stellt. Zudem bie­tet der ent­spre­chen­de Lehr­brief von LITURGIE IM FERNKURS fun­dier­tes Hin­ter­grund­wis­sen zur Tagzeitenliturgie.

Das war Bestä­ti­gung, auf dem rich­ti­gen Weg zu sein, und Anre­gung, die oben beschrie­be­nen „Stol­per­stei­ne“ anzu­pa­cken, damit die Gestal­tung der Gebets­zeit gut auf die jewei­li­ge Situa­ti­on abge­stimmt wird.

Nun wur­de ein wie­der ver­wend­ba­res Falt­blatt erstellt, das außen die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen zur Orga­ni­sa­ti­on des Tag­zei­ten­ge­bets im Pfarr­ver­bund und innen den klar struk­tu­rier­ten Ablauf mit den ent­spre­chen­den Erläu­te­run­gen bie­tet. Wie­der­keh­ren­de Ele­men­te – wie Eröff­nung und Segens­bit­te – sind abge­druckt. In die Mit­te kann zu jedem Abend­lob neu ein schma­les Blatt mit den Num­mern der Mate­ria­li­en aus dem „Got­tes­lob“, das nun ver­stärkt ver­wen­det wird, sowie mit Hin­wei­sen zur Gebets­hal­tung und den Wech­sel­ge­sän­gen ein­ge­legt wer­den, sodass die Mit­fei­ern­den zur akti­ven Teil­nah­me am Tag­zei­ten­ge­bet ange­regt werden.

Seit vier Mona­ten ver­wen­den wir die­ses Sys­tem. Ob es sich bewährt, wird sich zei­gen. Wir sind auf dem Weg, die Tag­zei­ten­lit­ur­gie als „Basis-Lit­ur­gie des Vol­kes Got­tes“ (Achim Bud­de) in die Gemein­den zu brin­gen. Damit die Men­schen den Kon­takt zu Gott pfle­gen und unse­re Kir­chen das sind, was sie sein sol­len: Orte des gemein­schaft­li­chen Gebets.

 

Nico­le Stöppler

 

Quel­le: Got­tes­dienst. Die Zeit­schrift der Lit­ur­gi­schen Insti­tu­te Deutsch­lands, Öster­reichs und der Schweiz 53, 2019, Heft 16, S. 186–187

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