»Mein Hirt ist Gott, der Herr«
(GL 421)

Psalm­lied zu Psalm 23 nach Cas­par Ulen­berg 1582; Melo­die von Johan­nes Hatz­feld 1948 (nach C. Ulen­berg 1582)

 

Lied­por­trait von Mein­rad Walter

„Alle Bücher, die ich gele­sen habe, haben mir den Trost nicht gege­ben, den mir dies Wort der Bibel gab.“ Das soll der Phi­lo­soph Imma­nu­el Kant (1724–1804) über Psalm 23 gesagt haben. Im 20. Jahr­hun­dert nennt die Schrift­stel­le­rin Inge­borg Dre­witz (1923–1986) ähn­li­che Erfah­run­gen, um sie zugleich kri­tisch in Fra­ge zu stel­len: „Wenn ich den Psalm lese, reißt mich der Jubel hoch, begeis­tern mich die ein­fa­chen, immer­wäh­ren­den Bil­der Hirt, Her­de, Was­ser, das gefähr­li­che enge, dunk­le Tal, das die Behut­sam­keit des Hir­ten for­dert. Wenn ich den Psalm lese, erschreckt mich aber auch der Trost, ein ein­fa­cher, viel­leicht ein bil­li­ger Trost?“ Psalm 23 gehört zum spi­ri­tu­el­len Pro­vi­ant des Chris­ten­tums. Er begeg­net uns in Gedich­ten sowie in Wer­ken der geist­li­chen Musik. Und mit dem Got­tes­lob sin­gen wir Cas­par Ulen­bergs Lied zu die­sem Psalm.

Psalm 23 ent­wirft ein ein­drucks­vol­les Got­tes­bild: zunächst der umsich­ti­ge Hir­te, in den letz­ten Ver­sen dann der könig­li­che Gast­ge­ber. Bei­des, Hir­te und König, sind Sym­bo­le des Gott­ver­trau­ens. Doch es ist kei­ne hei­le Welt, die hier gemalt wird. Die „Theo-Poe­sie“ (Erich Zen­ger) des Psalms kennt auch Gefähr­dun­gen, etwa im Bild der „Tod­schat­ten­schlucht“, die zu durch­que­ren ist. Die­ses vier­stro­phi­ge Psalm­lied von Cas­par Ulen­berg erschien erst­mals im Jahr 1582 in der Samm­lung „Die Psal­men Davids in aller­lei teut­sche Gesan­g­rei­men gebracht“.

Das 16. Jahr­hun­dert erlebt eine Blü­te volks­sprach­li­cher Psalm­dich­tung. Nicht nur ein­zel­ne Psalm­lie­der ent­ste­hen, son­dern gan­ze Reimps­al­ter, deren Autoren alle 150 Psal­men lied­haft nach­dich­ten. Zu nen­nen sind auf refor­ma­to­ri­scher Sei­te Mar­tin Luthers Psalm­lie­der, begin­nend mit „Aus tie­fer Not“ (1523/24) sowie der von Johan­nes Cal­vin initi­ier­te „Gen­fer Psal­ter“ (1562 abge­schlos­sen). Spä­ter kom­men noch die deut­schen Psal­men von Ambro­si­us Lob­was­ser (1573) und Cor­ne­li­us Becker (1602) hinzu.

Im Zeit­al­ter der Kon­fes­sio­na­li­sie­rung wid­men sich aber auch katho­li­sche Autoren dem Psalm­lied. Ähn­lich wie schon in spät­an­ti­ker Zeit wur­den lehr­haf­te Strei­tig­kei­ten auch auf dem Feld des Kir­chen­ge­sangs aus­ge­tra­gen. Denn was nützt die Gewiss­heit, Ver­fech­ter der rech­ten Leh­re zu sein, wenn die Gegen­sei­te über die schö­ne­ren Melo­dien ver­fügt? Damit sind wir bei Cas­par Ulen­berg (1549–1617), der aus einer pro­tes­tan­ti­schen Fami­lie stammt und 1572 katho­lisch wur­de. Er ist in Lipp­stadt gebo­ren und wirk­te nach sei­nem Stu­di­um der Theo­lo­gie in Köln als Leh­rer, Bibel­über­set­zer und Pfar­rer von St. Kolum­ba, heu­te Kunst­mu­se­um des Erz­bis­tums Köln.

Gleich in der Vor­re­de zu sei­nem Lied­ps­al­ter beklagt Ulen­berg, dass die Anders­gläu­bi­gen „aller­lei teut­sche Gesän­ge mit fei­nen Melo­de­i­en“ ver­fer­tigt und „dar­in ihre fal­sche Lehr ein­ge­men­get“ haben. Im Gegen­zug bringt nun auch er die 150 Psal­men „in aller­lei teut­sche Rei­me, damit es auch den „Papis­ten“ mög­lich wird, „gesang­weis mit dem hei­li­gen Pro­phe­ten David Gott loben, prei­sen und ihm dan­ken“. Die Melo­dien hat Ulen­berg „zuge­rich­tet und ver­ord­net“, was wohl einen kom­po­si­to­ri­schen Spiel­raum zwi­schen Arran­gie­ren vor­han­de­ner Melo­dien und gänz­lich neu­em Kom­po­nie­ren meint.

Beim 23. Psalm hält Ulen­berg sich eng an den Wort­laut der bibli­schen Vor­la­ge. Jede Stro­phe umfasst zwei Psalm­ver­se, so dass der gesam­te Psalm im Lied nach­er­zählt wird. Die Melo­die kennt nur Vier­tel- und Hal­be­no­ten. Allein der vor­letz­te Abschnitt „mir Rast und Ruhe geben und wird mich immer­dar“ wirkt beleb­ter, weil die Pau­se in der Mit­te fehlt. So gelingt auf der Grund­la­ge eines sta­bi­len metri­schen Sche­mas zugleich eine rhyth­misch erfri­schen­de Abwechslung.

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