
Die Auswahl der Lieder
Insgesamt 286 Lieder und Hymnen gibt es im Stammteil des neuen Gebet- und Gesangbuchs Gotteslob. Wie sie ausgewählt wurden, erläuterte für die Zeitschrift „Gottesdienst“ der Vorsitzende der zuständigen Arbeitsgruppe Richard Mailänder, Diözesanmusikdirektor in Köln.
Im Juli 2004 traf sich zum ersten Mal die Arbeitsgruppe „Lieder“ der Unterkommission „Gemeinsames Gebet und Gesangbuch“. Ihr Auftrag: Geistliche Lieder christlicher Prägung mit strophisch metrischem Bau und Hymnen für das neue Gesangbuch auswählen, die zum Gebrauch in der Gemeinde geeignet sind.
3000 Lieder durchgesehen
Im Vorfeld war in einer groß angelegten Umfrage die Meinung von Gemeinden, Seelsorger und Kirchenmusiker eingeholt worden. Mit den Ergebnissen dieser Umfrage beschäftigen wir uns nun. Außerdem sahen wir das gesamte „Gotteslob“ von 1975 durch. Schon früh zeigte sich, was möglichweise aus dem bisherigen „Gotteslob“ gestrichen werden könnte. Danach arbeiteten wir sämtliche Diözesananhänge der beteiligten 37 Diözesen durch, sowie alle Gesangbücher der AÖL (Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut). Außerdem baten wir alle Diözesen, zehn Lieder aus ihren Eigenteilen vorzuschlagen, die als besonders gewichtig und interessant für den Stammteil angesehen werden. (…) Insgesamt haben wir über 3000 verschiedene Lieder, zum Teil nur Texte, zum Teil nur Melodien, durchgesehen. Abgestimmt wurde nach dem Durchsingen von Liedern über etwa 2100 Titel. Nicht wenige dieser Lieder standen mehrfach zur Abstimmung. Schließlich gab es eine Sammlung von 554 Liedern, die von uns als positiv bewertet wurden. Wesentliche Kriterien waren, die Qualität von Text und Melodie und deren Übereinstimmung, die Berücksichtigung breit rezipierter Lieder, die angemessene Berücksichtigung aller Epochen, die Anzahl der in einer Rubrik bereits vorhandenen Lieder sowie die Übereinstimmung mit der katholischen Glaubenslehre. Ein weiteres wichtiges Kriterium war der Beschluss, nur solche Lieder aufzunehmen, die auch ohne Instrumentalbegleitung von einer Gemeinde gesungen werden können. Damit fielen zahlreiche Vorsängerlieder oder auch Lieder mit Zwischenspielen aus. (…)
Nachdem die Arbeitsgruppe den Bischöfen der Unterkommission die Positivliste vorgelegt hatte, wurde – man müsste fast sagen erwartungsgemäß – seitens der Bischöfe der Wunsch geäußert, die Liste zu reduzieren, da der Platz unmöglich für so viele Lieder ausreichen kann. Daraufhin wurden alle positiv bewerteten Lieder in drei Gruppen eingeteilt A = muss unbedingt aufgenommen werden; B = sollte möglichst aufgenommen werden; C = sollte aufgenommen werden, wenn noch Platz ist.
Die Antwort der Unterkommission erfolgte relativ schnell: möglichst nur mit der A-Liste weiterarbeiten. Daraufhin wurden die Ergebnisse der bisherigen Beratungen den Diözesen mitgeteilt, um Arbeitsmaterial für die Auswahl der Eigenteile zu liefern. (…)
Ergebnisse der Probepublikation
In den Jahren 2007 und 2008 wurde dann eine Probepublikation in ausgewählten Gemeinden getestet. Die Ergebnisse dieser Probepublikation wurden in die Weiterarbeit eingezogen. So ergab sich, dass mehrsprachige, fremdsprachige und mehrstimmige Lieder nicht gewünscht werden (…) – mit Ausnahme von Taizé-Gesängen. (…)
Rubriken und Themen
Nach der ersten Kürzungsrunde arbeiteten wir mit 304 Liedern weiter. Innerhalb eines halben Jahres wuchs die Liste wieder auf 360 an und musste wieder gekürzt werden, sodass wir schließlich bei 310 Liedern angekommen waren. Dann zeigte sich jedoch, dass es auch für 310 Lieder nicht genügend Platz gab. Wieder musste gekürzt werden. Hier mussten wir darauf achten, dass alle Rubriken und Themen angemessen vertreten waren und möglichst alle Epochen berücksichtigt wurden. Das führt dazu, dass in einer Rubrik wie Weihnachten, in der nun 19 Lieder stehen – plus zwei für Jahresschluss/Neujahr und drei für das Fest der Erscheinung des Herrn – wenig Raum ist für neue Lieder, denn gerade hier gibt es zahlreiche traditionell tief verhaftete Lieder. So käme kaum jemand auf den Gedanken, Lieder wie „Es ist ein Ros entsprungen“ oder „Nun freut Euch Ihr Christen“ zu streichen. (…)
Anders sieht es aus, wenn man die österliche Bußzeit betrachtet. Hier gab es bislang nicht allzu viele Lieder. So war es möglich, auch einiges an neuen Gesängen hineinzunehmen. Zahlreiche neue Lieder konnten in Rubriken aufgenommen werden, die bisher nicht im Gesangbuch vertreten waren: Etwa „Schöpfung“, „Gerechtigkeit und Frieden“ oder „Die himmlische Stadt“.
Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass es einige überaus prominente Lieder gibt, die unmöglich in einen Stammteil aufgenommen werden können, wie z. B. „Tauet Himmel“, „Wunderschön prächtige“ oder „Fest soll mein Taufbund immer stehen“, da hier sehr viele verschiedene Varianten bestehen und diese Lieder in ihren jeweiligen Fassungen emotional tief verankert sind. Somit wurde bei solchen Liedern den Diözesen mitgeteilt, dass diese Lieder für den Eigenteil zu berücksichtigen sind.
Nachdem die Arbeiten der Liedauswahl wesentlich abgeschlossen waren, begannen auch die Diözesen, intensiv an ihren Eigenteilen zu arbeiten. Im Jahr 2010 erkundigten wir uns noch einmal bei allen Diözesen, welche Titel in die Eigenteile aufgenommen werden sollten. Ziel war es, Lieder, die in den meisten Eigenteilen vorgesehen waren, noch in den Stammteil aufzunehmen. Auf diese Weise sind noch einmal 6 zusätzliche Lieder aufgenommen worden – für die andere wieder weichen mussten.
Die Diskussion der Liedfassungen für das neue Gebet- und Gesangbuch
Gleich zu Beginn unserer Arbeit stellten wir fest, dass bei der Fülle des Materials ein Ende der Arbeiten nahezu unabsehbar wird, wenn Auswahl der Gesänge und Diskussion über die Fassung der jeweiligen Gesänge gleichzeitig erfolgen. Somit wurde sehr früh beschlossen, die Fassungsdiskussion erst dann zu führen, wenn die Auswahl der Lieder festliegt. (…) Diese Frage ist obsolet, soweit es sich um Lieder der Neuzeit handelt, insbesondere dann, wenn Fragen des Urheberrechts damit verbunden sind und es verbindliche Fassungen des Autors gibt. Hier gibt es nur drei Möglichkeiten: 1. Das Lied wird so gewählt, wie es ausgesucht worden ist. 2. Mit dem Autor wird über die Fassung gesprochen mit der Intention, etwas am Lied zu ändern. 3. Das Lied wird gar nicht genommen, da es in der rechtlich verbindlichen Fassung nicht akzeptabel ist. Von der dritten Möglichkeit haben wir kaum Gebrauch machen müssen. Auch den zweiten Weg mussten wir nur selten beschreiten.
Wie sieht aber nun mit den Gesängen von vor 1900 aus? Allein der Vergleich mit dem Gotteslob 1975 und vorhergehenden Diözesangesangbüchern in den einzelnen Diözesen zeigt, dass von vielen Liedern zahlreiche Varianten existieren. Eine eindrucksvolle Übersicht findet sich in der Publikation „Das Kirchenlied am Anfang des 21. Jahrhunderts“ von Heinrich Riehm. Schnell merkten wir, dass es nahezu kein Lied aus der Zeit vor 1900 gibt, das in seiner Originalfassung noch im Gotteslob enthalten ist. Gleichzeitig wurde uns klar, dass jeder Versuch einer Aktualisierung eines alten Liedes auch einen Eingriff und möglicherweise auch eine unstatthafte Veränderung des Liedes mit sich bringt, über die man in der nächsten Generation eventuell verärgert sein kann. So war eine Grundsatzentscheidung, keine bestehenden Texte selber zu verändern. Stattdessen wurden entweder komplett neue Texte gesucht oder aber auf vorhandene Texte zurückgegriffen. (…) Darum wurde das Gesangbucharchiv der Universität Mainz beauftragt, Gutachten zu den Gesängen mit Darstellung der Rezeptionsgeschichte, Quellenangaben sowie Fassungsvorschlägen zu erstellen. Auf dieser Grundlage diskutierten wir in der Arbeitsgemeinschaft nun über konkrete Liedfassungen. (…)
Nun folgte ein komplexer Abstimmungsprozess mit verschiedenen Gremien. So kompliziert dieses Verfahren war, so offen waren dann doch die Prozesse und der Dialog, der geführt wurde. Und auch wenn es für jede Arbeitsgruppe Beschlüsse gab, mit denen nicht alle glücklich sind, so sind wir doch überzeugt, dass durch diesen lebendigen und umfassenden Prozess tragfähige Fassungen vorgelegt werden konnten.
Den ausführlichen zweiteiligen Artikel aus der Zeitschrift Gottesdienst 19/2013 und 20/2013 können Sie als PDF-Datei herunterladen.